Die Welt,
Irene Sieben

Konflikte mit demEllenbogen

12 okt 1979

Gastspiel Herman van Veen im ICC

Herman van Veen beschreiben zu wollen, kommt dem Versuch gleich, das Zirpen der Grillen sichtbar oder das Rot eines Sonnenunterganges hörbar zu machen. Kein Wort, kein Tonträger, auch nicht breiteste Leinwand kann die Atmosphäre konservieren, die der Zauberer auf der Gefühlsskala des Menschen herzustellen vermag.


Man nennt ihn "Entertainer" und übersieht dabei, daß er nicht mit jenen in einen Topf zu werfen ist, die mit der Unterhaltung als billiges (oder auch teures) Freizeitvergnügen manipulieren. Herman van Veen kann virtuos Geige spielen. Er kann singen, kennt sich auf dem Piano aus. Er pantomimt und harlekint. Er tanzt. Er erzählt Geschichten. Aber all das tut er nie um der Showwirkung willen. Der Holländer hat ein soziales, ein gesellschaftliches, ein zwischenmenschliches Anliegen. Mit ihm werden Dickfellige dünnhäutig, Schwache stark. Starke besinnlich. Wenn irgendeiner der sogenannten Bühnen-Stars etwas zu ändern vermag, dann er.

Der Künstler hält der Welt den Spiegel vor. Nie belehrend. Er selbst steht da und sagt: "Ich habe Angst vor Krieg, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor dem Umfallen - und sehne mich nach einem positiven Geräusch." Er singt: "Einsam, zweisam, dreisam und am Ende dann allein".
Er spielt pianissimo. Fortissimo wird er nur, wenn es not tut, die Satten mit dem Backpfeifen-Rütteleffekt zu wecken.

Herman van Veen - im ICC bis zur Erschöpfung gefeiert - entblättert am eigenen Beispiel die Schwächen der Menschen. Er tut das zuweilen sehr direkt, meist jedoch clownesk verfremdet. Er kämpft mit baritonalem Timbre, dem Chi-Chi eines Ballerinos und dem Staunen eines Kindes, das die Lüge der Erwachsenen registriert gegen militante Dummheit, stumpfe Gefühle für die Rechte der Alten und rechtlose Kinder.

Dabei zielt van Veen immer aufs Zwerchfell. Er schleust sozusagen auf Lachwogen boshafte Schelte und beißende Ironie ein. Seine Parodie vom "Erlkönig", der in einer Tirade über das Schicksal schmutziger Waschlappen endet, ist schlicht komisch. Auch die Mozartsche Kadenz, bis zum Geht-nicht-Mehr ausgewalzt, oder das Duo eines Bodybuilders mit einem Saxophon.
Nicht nur die verflossenen und kaum noch glitzernden Lieben, das schlimme Ende eines "clean" gepflegten Mädchens ("Mama, Papa, ich kann fliegen"), sondern auch Afrika und dessen Ausbeutung werden zu zentralen Themen. An den Congas plappert van Veen - begleitet von seiner friedhofsdüsteren bis militärisch (rötenden Blaskapelle an den Steel-Tonnen (den Gitarristen Harry Sacksioni vermißt man keine Minute) - von Priestern, die "die Neger weiß machen wollen". Er gerät dabei in Konflikt mit seinem Ellenbogen, der auf dem Conga-Fell zum Symbol der unberechenbaren Macht wird. Ein Meisterstück.

An der Leine hängend spielt er seine Metamorphose zum Hund durch oder rennt als holländischer Fußball-Fan gegen einen Wall des Hasses fahnenstarker Herthaner. Sein Kriegsveteran verwandelt sich in den Herrgott, der Opa heißt und dem Kindchen die Welt erklärt, auf der es nur noch eine Wiese gibt - nicht zu betreten, weil frisch gestrichen - und in der die Hast Aktentasche und Mercedes heißt. Noch bevor Opa die Erfindung der Vögel und Zebrastreifen motivieren kann, wird er von einer gütig blickenden Autoritätsperson abgeführt. Möglicherweise in die "Psychiatrische".

Man geht - selig, verzückt und dennoch heftig beunruhigt.



Irene Sieben