DIE WELT
FRITZ W.HAVER

Herman van Veen will dem Publikum „in die Seele greifen“
Seine Stärke sind die leise Töne


„Meine Stimme klingt in Deutsch am sanftesten “

12. januar 1989

Ich erfahre es als ganz phantastisch, daß ich in diesem Land so willkommen bin. Ich will nicht sagen, daß mich das verpflichtet - aber ich finde es einfach sehr schön.“ Herman van Veen - Clown, Liedermacher, Sänger, Musiker, Spaßmacher, Schauspieler - tritt zur Zeit bei uns wieder in ausverkauften Hallen auf. Durch seine fast berechnende Offenheit greift der All-roundkünstler „dem Publikum in die Seele“, wie er es selbst nennt; und beim WELT-Gespräch wirkt Herman van Veen denn kaum anders als auf der Bühne.


Das Restaurant „Die Glocke“ in Bremen, ein großer Raum mit gediegener Atmosphäre. Herman van Veen, in blauer Jeansjacke, bestellt Tomatensaft. Seine Augen sind wach, die Wahl seiner Worte sehr bewußt. Doch dann wird das Gespräch einem seiner Konzertabende immer ähnlicher. Da erzählt er eine lustige Geschichte, lacht - und plötzlich wird alles ganz ernst. Ein Künstler, der seine Umgebung mit sensiblen Antennen wahmimmt, sicher ein guter Rhetoriker - aber bestimmt jemand, der sein Gegenüber nicht gleichgültig läßt.

Das Erfolgsgeheimnis dieses niederländischen Weltstars, der auf dem berühmten Konservatorium in Utrecht Musik studierte? „Es mag daran liegen, daß ich meinen Beruf sehr mag. Eine Überlebensstrategie - eine phantastische Möglichkeit, viele Sachen, die ich nicht kapiere, loszuwerden. Und der Spaß und das Glück, das wir dabei empfinden, wird dem Publikum vermittelt.“
Herman van Veen lacht: „Es hat Zweck, das zu tun, was man gern tut. Jeder kann irgend etwas sehr gut; aber oft traut man sich nicht, das zu tun - weü es oft etwas ganz Merkwürdiges ist.“

Wenn Herman van Veen in Deutschland auftritt, singt und spricht er Deutsch. „Ich singe wahnsinnig gerne auf deutsch. Diese Sprache ist für meinen Gesang am sanftesten; und meine Stimme wirkt in Deutsch auch viel sanfter als in anderen Sprachen." Sein erfolg bei uns hat auch "sehr viel" damit zu tun, daß sein Programm in absolute, ausgesprochene Realität.“

Demnächst wird Herman van Veen auch wieder in der „DDR“ gastieren. „Die Konzerte dort sind für mich etwas ganz Besonderes. Die Leute dort kennen meine Texte besser als ich, auch mehr Bedeutungen. Sie drehen ein Blatt sechsmal um und hören ein Lied neunmal. Es ist erstaunlich, wie viel die Leute von wahnsinnig wenig wissen - und wie wenig wir von wahnsinnig viel wissen. Also brauchen, wir einander schrecklich.“ Ein Konzertabend mit ihm ist ein Wechselbad der Gefühle. Plötzlich wird aus reiner Alberei tiefer Ernst, dann löst sich dieser wieder in Leichtigkeit. Das Herumalbern, der zweckfreie Nonsens ist für Herman van Veen die hohe Schule: „Ich sehe es wie eine Tonleiter oder eine Treppe. Um wirklich Nonsens machen zu können, muß man sich erst mal selber abbauen. Das ist, wie wenn man ins Bad geht. Man muß sich erst auszie-hen, bevor man nackt ist. Und bei mir dauert das lange. Wenn ich dann aber im Bad bin, kriegst du mich da nicht wieder raus.“

Obwohl er auf seine Freiheit als Künstler pocht, hat Herman van Veen ein reges Gewissen für die Probleme unserer Welt. „Was mich am meisten beschäftigt, ist die Frage, was für eine Welt ich meinen Enkeln hinterlasse. Ein Ozonproblem, eine total zerstörte Natur, die Rüstungsidiotie. Das sind alles schon Klischees, aber trotzdem Wirklichkeit. Diese Welt hat kaum Chancen zu überleben. Wir haben Sachen weggeholt, die nie wiederkommen, und ich weigere mich zu sagen, daß das Evolution ist. Für mich ist das Vernichtung. Ich kann vielleicht meinem Enkelkind sagen: Die „grenzenlose Phantasie“ der Kinder hat den vierfachen Vater schon immer fasziniert. Er hat Kinderbücher geschrieben, Sendungen und Filme gemacht: „Wenn ich für Kinder arbeite, fühle ich mich gut. Bei Kindern kann ich einfach sagen: ,Du, hast du auf meiner Hand diesen Elefanten gesehen?“ Und dann sagt das Kind: ,Du, der ist groß.“ Ein Kind macht sofort mit; ein Erwachsener sagt: ,Der ist beknackt.“ Das ist ein Abenteuer, das ich auch bei meinen eigenen Kindern sehe. Da braucht man nicht zu erklären bei Kindern, bei Erwachsenen muß man immer erklären.“



FRITZ W.HAVER