Aachener Nachrichten
MARIE HÜLLENKREMER

Er singt und geigt, er tanzt und träumt

Herman van Veen: Alleskönner aus Holland im Eurogress Aachen

11 nov 1977

Er ist eine Mischung aus Charlie Chaplin und Otto, aus Charles Aznavour und Caterina Valente, aus Marcel Marceau und Rudolf Nurejew. Von allem hat er ein bißchen, und doch ist er eine Persönlichkeit, die zumindest im europäischen Unterhaltungsgeschäft ihresgleichen sucht. Er singt und jodelt, geigt und trommelt, er tanzt und träumt, schmiedet Verse und Lieder.


Und doch ist dieser Teufelskerl kein Superstar. Herman van Veen, holländischer Alleskönner, ist, wie das spärlich besetzte Eurogress beim einmaligen Gastspiel am vergangenen Mittwochabend bewies, vielen nicht bekannt. Nur so kann man den kommerziellen Flop des Auftritts begründen. Wer Herman van Veen kennt - manchen war er durch einige Fernsehauftritte ein Begriff -, läßt sich das Vergnügen nicht nehmen, ihn live zu erleben. Die begeisterte und, wie der zustimmende Beifall bei einigen Songs bewies, eingeschworene Gemeinde jedenfalls tat das mit einer Begeisterung, die der Holländer sichtlich und ohne Süffisanz genoß.

Was ist an Herman van Veen so außergewöhnlich? Er läßt sich zunächst einmal nicht kategorisieren: er ist von allem etwas, und jedes seiner zahllosen Metiers beherrscht er scheinbar mühelos, was auf harte Arbeit und großen Einsatz schließen läßt. Einiges erklärt sich aus seinem Leben: nach seiner Ausbildung als Lehrer für Allgemeine Musikerziehung, während der er vor allem das Violinspiel und Gesang studierte, begann er mit der Vorbereitung eines weitgehend satirischen Theaterprogramms, mit dem der heute 32jährige 1967 debütierte. Seitdem gibt er zunächst mit dem "Harlekijn-Programm" Gastspiele in zahlreichen Ländern, erhält Auszeichnungen und kommt ins Fernsehen. Seit 1968 arbeitet van Veen mit Freunden in einer Kunst- und Kommunikationsfirma namens Harlekijn, deren Ziel es ist, junge Maler, Musiker und Schauspieler zu fördern. Hier entstehen auch die Shows des Entertainers, denn Herman van Veen arbeitet am liebsten mit seinen Freunden zusammen, was für ihn praktische Konsequenzen hat: Als Angestellter der Firma Harlekijn, die außerdem eine Konzert- und Tourneeagentur, einen Buch- und Musikverlag führt sowie eine Zeitschrift vertreibt, bezieht er ein Direktorengehalt!

Sein soziales und politisches Engagement realisiert der Künstler als Vorsitzender der niederländischen UNESCO-Sektion. Nur vor diesem Hintergrund ist Herman van Veens Arbeit zu verstehen.
Nur dar aus ergibt sich die ungeheure Harmonie des Artisten mit seinen Freunden (selbst den Tonmeister und den Bühnenmeister stellt er mehrfach vor!), nur daraus resultiert die scheinbar spielerische Perfektion, mit der die Gruppe - fast ohne Requisiten und optische Gags - ein Programm absolviert, das gerade durch seine Vielseitigkeit besticht. Denn Herman van Veen ist nicht nur ein Sänger, der sich sehr emanzipiert zu Gefühlen und Ängsten bekennt, er ist ein Komiker von hohen Graden, ein Träumer und Phantast, und manchmal ist er auch eine ganz irre Type mit purer Lust am Nonsens. Auf jeden Fall: immer wenn man glaubt, ihn "erkannt" zu haben, wechselt er die Stimmung, die Situation wie ein Chamäleon seine Farbe.

So trägt er ein Gedicht vor aus einem Ringbuch, ein Blatt Papier fällt herunter, Herman van Veen verwandelt sich in einen Schlangenbeschwörer, der mit hinreißenden Tönen das Blatt auffordert, ins Buch zurückzukommen. Er verulkt die Urschrei-Anhänger, wobei seine scharfe Beobachtungsgabe offensichtlich wird, er bezieht das Publikum mit einem Charme und einer Souveränität in sein Programm ein, daß man ihm nicht einmal diesen mittlerweile überstrapazierten Versuch, "Stimmung" zu machen, übelnimmt. Im Gegenteil: so läßt man sich's gern gefallen.

Wenn Herman van Veen auch Primus inter pares ist, so wäre er doch ohne seine Musiker kaum denkbar. Er und seine Musiker haben die große Halle des Eurogress (wo manch Prominentere schon "baden"ging) fest im Griff: Jeder für sich ein glänzender Musiker, alle zusammen ein Team, wie es selten anzutreffen ist: Harry Sacksioni ein ausgezeichneter Gitarrist, der auch schon eigene LPs herausgegeben hat. Sowohl in seinen Soli als auch im (streckenweise sehr aparten) Zusammenspiel ist er ein Meister seines Instruments. Dabei geht ihm auch, was vor allem die Western-Music-Szene mit van Veen zeigt, der Humor nicht ab. Völlig gleichberechtigt spielen Erik van der Wurff am Piano und der Orgel, Hans Koppes beherrscht die Tuba souverän, Martijn Alsters ist Flötist, Ger Smit bläst die Posaune. In diese eigenwillige Instrumentenzusammenstellung fügt sich Herman van Veen als Geiger ein.

Daß sich so viele den Genuß entgehen ließen, das Gastspiel zu erleben, läßt nur auf Mangel an Information schließen, Herman; van Veen, offensichtlich noch ein Geheimtip in deutschen Landen, ist solch ein Ausbund an Talent, Komik und Ideenreichtum, daß er nicht mehr lange "im verborgenen blüht".



MARIE HÜLLENKREMER