Allgemeine Zeitung
GERNOT LAHR

Clown mit dem Herzen im Kopf

Herman van Veen begeisterte in der Mainzer Rheingoldhalle

11. Oktober 1988

Clown, Poet, Kabarettist, Träumer und Musiker, der Holländer Herman van Veen verkörpert wie kein anderer all diese Elemente in einem und ist trotzdem nie vollständig definierbar.


„Bis hierher und weiter” heißt das aktuelle Programm des 43jährigen Künstlers. Programm ist fast schon das falsche Wort für das, was van Veen in der Rheingoldhalle bot. Vielmehr war es ein perfekt inszenierter melancholischer Traum, der das Publikum verzauberte. In diesem Traum singt der Künstler von seiner vierjährigen Tochter (Anne), imaginiert ein Telefongespräch mit ihr, singt über die Schwierigkeiten von Verstand und Liebe (Suzanne), persifliert den Größenwahn des Militarismus, spielt Tennis mit einem Lichtspot, spricht Pseudo-Japanisch und zaubert mit einer Kugel. Er stirbt sogar auf der Bühne, steht aber wieder auf, weil er seine Geige vergessen hat und ohne sie nicht sterben kann.

„Wer erklärt mir, wie man diese Splitterwelt zusammenfügt in Liedern?” fragt van Veen. Der Künstler kann es auch nicht, aber van Veen ist ernster geworden. Das Publikum hat im Konzert viel zu lachen, meist ist es aber nie ohne ein Stück Melancholie, wenn es auf den Glatzkopf schaut, welcher ständig die Kostüme wechselt und in andere Rollen schlüpft. Eindrucksvoll auch die Pantomime des Militaristen, der in viel zu großer Uniform mit dem Ball Erde völlig nachlässig umgeht.
Van Veen besitzt ein enormes Maß an Gestik und Mimik, über allem steht seine sanfte geschulte Stimme, die bei manchen Liedern eine permanente Gänsehaut erzeugt. Natürlich geht er auch ins Publikum, ist nicht nur die Bühne sein Spielfeld, in dem er die Ovationen dirigiert und dann laut „Zugabe” verlangt.

Der Holländer ist kein Drübersteher, er hat nicht den so überaus ernsten Anspruch von manchen Liedermachern, er kommt eher leiser in Ballettschuhen, mit Frack und Hut und Tambourin auf dem Kopf daher. In einer Szene umarmt er den Tod, wissend, daß auch der Clown nur auf der Bühne „Leben” träumen kann. Unterstützt wird er dabei von Nard Reynders (Saxophon), Cees van der Laarse (Baß) und Erik van der Wurff (Klavier und Synthesizer).

Drei glänzende Musiker, die van Veen schon lange Jahre auf seinen Tourneen begleiten. Alles ist bis auf das kleinste Requisit durchdacht, sei es der rührende Tanz, den eine Mitstreiterin mit einer Van-Veen-Puppe macht, so daß Puppe und Künstler gemeinsam tanzen, oder die fein abgestimmte Lightshow, die ohne effektvollen Bombast Atmosphäre erzeugt.

Das Publikum kann nicht genug kriegen von dem nie ganz faßbaren Holländer. Immer wieder muß er auf die Bühne. Vielleicht liegt es daran, daß er zu Beginn im Lied „Und ich” einen Spiegel ins Publikum gehalten hat, vielleicht liegt es auch daran, daß wir alle in van Veens Traum mitwirken, einem Traum, der manchmal so ernst ist wie das Leben, aber auch eine poetische Flucht sein kann.

Herman van Veen wird immer noch eine Jackentasche voll Konfetti haben, er hat immer noch ein „Zärtliches Gefühl" für die Menschen.


GERNOT LAHR