Elmshorner Nachrichten
DIETER BRAATZ

Nicht die Lautstärke zählt

10 nov 1979

HAMBURG. Vergleiche lassen sich nicht herbezerren, Maßstäbe nicht anlegen, Schubkästchen zum Einordnen nicht finden: Herman van Veen paßt nicht in die Kategorien der Showkritik, entschlüpft den gängigen Rastern und Formulierung, verweigert seine Kunst der vordergründigen Prüfung. Sicher macht der schmale Holländer seit mehr als zehn Jahren Entertainment, Show, Geschäft - doch so wie andere, deren Name lauter klingt und nach dieser Lautstärke bezahlt wird, so macht er es nicht. Herman van Veen ist ein leiser Clown, ein Eulenspiegel, ein "Harlekijn", der letzte vielleicht.


"Das einfache gefühlvolle Liebeslied hat uns für immer verlassen..."

Hermann van Veen hat es wiederentdeckt und zum Klingen gebracht, hat den falschen Klang ("durch d-markige Kannibalen restlos ausgepresst") eliminiert. Im Parkett des CCH entdeckt der über die Stuhlreihen hangelnde Bühnenaktivist seine Ansprechpartnerin, der er das "Liebeslied" an eine imaginäre "Gudrun" vorhält. Ein verrecktes Rezitativ, mal zärtlich, mal voller Begierde, mal melancholisch, mal verächtlich.

Der Konservatoriums-Absolvent und niederländische UNICEF-Botschafter, 'der 1967 im Utrechter "Tivoli" mit einem Solotheaterprogramm begann, ist seinem Metier treu geblieben. Er tönt keine lieblosen Lieder über Liebe und Triebe von der Bühne, er lockt dem Publikum keinen Klatschrhythmus aus den Händen; Herman van Veen spielt Theater, seine Harlekinade. Jedes Lied, jeder Sprechgesang, jede Szene wird zum Mehrakter, dargestellt von einem 34jährigen Allroundtalent und seiner vorzüglichen Fünf-Mann-Combo (ohne Gitarre und Schlagzeug, nur Blasinstrumente und Orgel/Piano).
Herman van Veen konfrontiert seine Person, seinen Leib und seine Seele mit menschlichen Situationen, Verhaltensweisen, Problemen, Gefühlen, vor allem Gefühlen. Er verwendet drastische Beispiele, böse Worte, eindeutige Darstellungen, will ehrlich und ernst genommen werden. Und ihm gelingt es, eigene Bewegtheit zu vermitteln, an 1600 Zusehende/Zuhörende weiterzugeben.. und diese Nachdenklichkeit Sekunden später aufzulösen, dem Denkanstoß einen weiteren folgen zu lassen.

Die Themen seines Programms sind keine Konfektionsware, die Bilder seiner Sketche sind nicht austauschbar wie im amerikanisierten Entertainment:
o sein sensibler Philosoph, der einem Kind die Phantasie und die Träume zeigt, landet im Irrenhaus,
o sein Missionar zieht mit Farbtöpfen und Quasten nach Afrika, um die Neger weiß zu machen,
o sein Pantomime lernt und verlernt in Minutenschnelle,
o sein Bongo-Trommler unterliegt letztlich dem Instrument.

Herman van Veen, ein vitaler Clown, von zumeist traurig-melancholischer (Seelen-)Gestalt, ein beispielhafter Verlierer, der gewinnt; an Menschlichkeit. Im Hamburger Congress Centrum gewinnt der "Harlekijn" seit einer Woche jeden Abend auch den letzten Skeptiker - wenn's den nach den ersten fünf Minuten noch geben sollte.

Und bis zum 14. November soll sich das noch fortsetzen...



Dieter Braatz