Stern
Ulrich Pramann

"Leider kann ich nicht fliegen"

10 okt 1981

Den Herman, den muß man mögen. Wohlwollend und geradeaus begegnet er dem Fremden. Er kennt mich nicht, ich kenne ihn nicht, nur aus dem Fernsehen oder von der Bühne. Aber seine Lieder kenne ich.


Eins mag ich besonders:

"Ich hab' en zärtliches Gefühl
für den, der sich zu träumen traut
der, wenn sein Traum die Wahrheit trifft
noch lachen kann - wenn auch zu laut..."



Ich hab' gleich ein gutes Gefühl bei ihm. , Wir sitzen im Cafe. Der lange Lulatsch mit lichtem Haar strahlt Ruhe aus. "Sag einfach Herman zu mich", sagt der Holländer Herman van Veen, 36. Offiziell nennt er sich Entertainer. Aber mit diesem einem Wort ist er nicht zu fassen. Sänger ist er, Schauspieler, Pantomime, Träumer, Tänzer, Traumtänzer. Und vor allem Harlekin. Das Publikum soll ihn als "Freund" betrachten, "mit dem gut essen ist". Clown will er sein, mit dem man lachen kann, keiner, über den man lachen soll. Zwei Jahre lang war hierzulande nichts von ihm zu hören. Bis Mitte Dezember und dann noch mal im Januar ist der freundliche Unterhalter auf Tournee in über 70 Städten.

"Herman", frage ich, "weißt du, was dein Publikum diesmal von dir erwartet?"
"Antworten." Herman nascht am Käsekuchen.
"Und kannst du denn Antworten geben - auf die weltpolitische Wetterlage zum Beispiel?"
"Die kann man besser im Supermarkt kaufen", antwortet Herman. "Bequeme Botschaften, fertige Rezepte kann keiner von mir erwarten. Ich kann nur springen - leider nicht fliegen." Herman van Veen will auf der Bühne ein "guter Gastgeber" sein. Seine Zuhörer sollen das Gefühl haben, da steht einer, der was zu sagen hat und dem man alles sagen kann. Er ist ein Nachbar, kein Star. "Mit mir soll sich niemand identifizieren, eher mit meinen Gedanken."

Die sagt er sachte zur Musik. Er verzichtet auf Pauken und Trompeten in seiner Begleitband. Seine Lieder haben den beruhigenden Rhythmus eines Pulsschlages. Falsche Propheten besingt er und modisch Verinnerlichte, Kraftprotze und Hoffnungslose. Entlarvend und deshalb oft grau sam wirken seine Texte - doch nie pessimistisch. "Ich bin ein realistischer Optimist", sagt Herman van Veen. Seinem Publikum möchte er Mut machen, nicht alles schweigend hinzunehmen. "Jeder Mensch kann verdammt viel tun."

Er tut's, vor allem für Kinder. Seit Jahren ist er, wie die Schauspielerin Liv Ullmann, als Botschafter für das Kinderhilfswerk "Unicef" unterwegs. Er gründete eine Stiftung ("Colombine"), die "alternative Entwicklungshilfe" in der Dritten Welt leistet. Statt anonym Spendengelder zu überweisen, kauft "Colombine" zum Beispiel philippinischen Handwerkern Waren zum Marktpreis ab. So sollen Hilfsbedürftige erfahren, daß sie sich auch selbst helfen können.

"Sinnvoll helfen aber können Menschen einander nur, wenn sie mehr voneinander wissen." Veen versucht deshalb "Wissen zu verbreiten" und den Kindern der Dritten Welt Informationen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft spielerisch zu vermitteln, durch Fernsehserien und auf Schallplatten. Für Kinder auch steht das "große Kind" ab Februar vor der Kamera und spielt die Hauptrolle in Ottokar Runzes Film "Der Rattenfänger von Hameln".

"Von Kindern", behauptet Herman von Veen, "können Erwachsene mehr lernen als Kinder von Erwachsenen." Ihm selber, dem ehemaligen Lehrer, geht es jedenfalls so. Sein Vorbild heißt Merlijn van Veen, drei Jahre alt und sein Sohn. Merlijn ist unbefangen. Er lacht, wenn's lustig ist, und weint, wenn er Angst hat.
Von wegen taktisch sein und diplomatisch sein, sich durchlavieren und sich selbst verlieren wie die Erwachsenen - dagegen singt und spielt van Veen an.
"Du bist wie sie, gehst deinen Weg im gleichen Trott, wie sie, die blind für alles andere sind. ,So werd' ich nie!' schwörst du mit Hand aufs Herz bei Gott. Jetzt hängst auch du dein Mäntelchen mit Sorgfalt in den Wind." Es wäre falsch zu glauben, Herman van Veen sei ein bierernster Mensch, aber er ist ernsthaft besorgt um den Fortbestand der Welt. "Die Anziehungskraft der Erde" hat er seine neue Langspielplatte genannt. Es ist seine 50. und schon die 13. in deutscher Sprache.

Van Veen betrachtet die Welt als ein Raumschiff. "Die Menschen in diesem Raumschiff begreifen immer noch nicht, wie wahnsinnig gefährdet wir sind." Das klingt wie eine Binsenweisheit. Tatsächlich macht es aber einen Unterschied, ob irgendein Politiker so etwas "konstatiert" oder einer wie van Veen.
Er ist betroffener und deshalb glaubwürdiger, er flüchtet nicht ins Unverbindliche, sondern versucht seine Nächsten am Portepee zu packen.

"Ich hab' ein zärtliches Gefühl
für den, der seinen Mund auftut
der Gesten gegenüber kühl
und brüllt, wenn's ihm danach zumut.
Ich hab' ein zärtliches Gefühl
für jeden Nichtsnutz, jeden Kerl
der niemands Knecht ist, niemands Herr."





Ulrich Pramann