Berliner Zeitung
Lutz Pretzseh

Chanson-Show mit blassem Vorspiel

10 apr 1982

Dem Thema Chanson - genauer: dem poetischen Lied - war das jüngste DT-64-Jugend- konzert im Palast der Republik gewidmet. Ein solches Projekt, das dem Chanson ein junges nd zahlreiches Publikum zu erschließen vermag, ist wichtig und - bei aller Problematik des Großen Saales - allemal zu unterstützen.


Im ersten Teil des Konzertes stellten sich DDR-Liedermacher vor. Werner Bernreuther, Barbara Thalheim (und Quintett), Gerhard Schöne, Karola Kirschner gehören zweifellos zu den wichtigsten Stimmen unseres Landes auf diesem Gebiet, während Joachim Piatkowski/Wolfgang Rieck der Spitze unserer Folkloreszene zuzurechnen sind.

Daß dieser Programmteil trotz ausgezeichneter Leistungen im einzelnen dennoch nicht recht gelungen war, hat mehrere Ursachen. Zum einen ist es eine undankbare Aufgabe, sich mit nur drei Liedern vorstellen zu können, und anschließend die Bühne für den Zweieinhalb-Stunden-Auftritt eines solchen Vollblut-Unterhaltungskünstlers wie van Veen räumen zu müssen.
Zum anderen ähnelte dieser Programmteil - ganz im Gegensatz zum van-Veen-Vortrag - am Ende für mich immer mehr einem mit Schlagseite behafteten Schiff in einem Meer des Weltschmerzes.

Das war überhaupt keine Frage der einzelnen Chansons - Bernreuthers "Es Kindla weint", Thalheims "Und keiner sagt: "Ich liebe Dich", Schönes "Unterwegs" gehören für mich zum Anrührendsten und Gedankenvollsten, was ich kenne. Es war lediglich eine Frage der ungeschickten Mischung. Was hier fehlte, war etwas, das den Zuhörer mit dem Gefühl entläßt, stärker, mutiger gemacht worden zu sein.
Ich glaube, alle Interpreten können mehr.

Ganz anders dann im zweiten Teil des Konzertes: Die Scheinwerfer gingen an - und herein kam ein Magier. Es waren keine fünf Minuten vergangen, da hatte Hermann van Veen das Publikum in seinen Bann gezogen.
Der holländische Chansonier nennt sich selbst einen Clown. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Van Veen ist mehr: Musikalclown und Pantomime und , Liedermacher und Parodist und Sänger ...

Vor allem jedoch ist er ein großer Zauberpr der Show. Eine Art totales Ein-Mann-Theater, unterstützt von drei hervorragend mitgehenden Musikanten. Van Veen beherrscht Körper und Stimme gleichermaßen, er spielt mit dem Grauen, der Irritation, dem bloßen Jux, der Obszönität, der Angst - vor allem jedoch mit seinem Publikum. Aber das ist kein Spiel um des bloßen Spiels willen.
Stets steht dahinter ein sich einmischender, streitbarer, sensibler Humanist, der Mut machen möchte, der Mißstände in seiner Umwelt anprangert. Das ist selbst wo es schmerzend grell wird, wo es slapstickhaft kommt, immer gekonnt und von großer Perfektion.

Van Veen ist vor allem ein Meister der Kontraste. Da wird eine Szene, eine Stimmung aufgebaut, um plötzlich einfach weggewischt zu werden - das Gegenteil ist nunmehr gefragt.
Eben das macht das Clowneske an van Veen aus.

Fast nie geht dabei über allem Spielerischen jener Schuß Hintergründigkeit verloren, der den Spannungsbogen des Programms ausmacht.



Lutz Pretzseh