Rheinische Post
Uwe Witsch

Biolek: Ein Jurist will frischen Wind in den WDR bringen

10 jan 1976

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Witsch

Ausgerechnet ein Dr. jur. schickt sich an, frischen Wind in die Kölner Fernsehanstalt WDR zu bringen. Alfred Biolek (42) ist dies durchaus zuzutrauen. Ein maghrebinischer Typ mit einem gewinnenden Lächeln, fernab juristischer Pingeligkeit. Biolek. Produzent der Rudi-Carrell- Show .Am laufenden Band" und wortgewandter Anführer einer Talk- Show im Kölner Boulevard-Theater .Senftöpfchen", wird im Dritten Fernsehprogramm zusammen mit Dieter Thomä die Talk-Show "Kölner Treff" moderieren. Für die westdeutschen Fernsehzuschauer wird damit 1976 das Jahr der Talk-Shows, denn im Ersten Programm können sie Rosenbauer und Münchenhagen in "Je später der Abend..verfolgen, im Dritten wiederum Münchenhagen mit "Spätere Heirat nicht ausgeschlossen", "Drei nach neun" von Radio Bremen mit Wocker, Menge und Marianne Koch und schließlich den "Kölner Treff", der in der Sommerpause sogar allwöchentlich über den Bildschirm läuft.


Biolek, seit November 1975 Leiter der Projektgruppe Fernsehspiel und Unterhaltung mit den Redakteuren Rolf Spinrads und Alexander Wesemann, sieht in dieser Anhäufung eine Chance. Der Talk-Show wird der Hauch des Besonderen genommen. indem sie zu einer alltäglichen Einrichtung wird. In diesem Gewöhnungsprozeß gelingt vieles müheloser, die Erwartungen werden heruntergeschraubt. Die Atmosphäre entkrampft sich also. Aus diesem Grunde läuft auch Bioleks Talk- Show im "Senftöpfchen" nicht einmal im Monat, sondern alle 14 Tage über die Bühne.

Die Erfahrungen, die Biolek und seine Mitarbeiter hier gesammelt haben, sind außerordentlich wichtig. Das Gegenteil von Studio-Atmosphäre verbreitet sich im kleinen cämmrigen Raum. Das Rauchverbot ist aufgehoben, der Besucher bezahlt mit der Eintrittskarte auch seinen Biergenuß. Auf der kleinen Bühne geht es munter zu, oft mit improvisierten Musik- und Gesangseinlagen. Vom Minister bis zum Straßenmusikanten, so manche buntschillernde Persönlichkeit hat sich auf der Couch herumgedrückt. Und Rosenbauer und Schönherr, die hier zusammen über die Schwierigkeiten ihrer Femseh-Talk-Shows stritten, waren erstaunt über die Stimmung im "Senftöpfchen".

Biolek ist sich freilich bewußt daß hiervon bestenfalls 50 Prozent ins Fernsehen hinübergerettet werden kann. Denn der direkte Kontakt zwischen Publikum und Bühne geht verloren, der Bildschirm filtert das Geschehen. Doch Biolek beruft sich darauf, daß er im "Senftöpfchen" gelernt hat, spontan Gespräche führen zu können. Und von Rudi Carrell hat er gelernt, wie man sich durchsetzt.

Der "Kölner Treff", zum erstenmal am 25. Januar zu sehen, soll in diesem Jahr 18mal produziert werden. In jeder Sendung werden Biolek und Dieter Thoma je drei Persönlichkeiten interviewen. Kern der Show ist das Gespräch, das möglichst locker geführt werden soll, so daß sich jeder gelegentlich einschalten kann. Information durch Unterhaltung also, denn für Biolek ist Information nur interessant, wenn sie unterhält.
Biolek ist nicht wie Schönherr und Rosenbauer bestimmten Zwängen unterworfen. Er fühlt sich als "Freier", der nicht auf den "Kölner Treff" angewiesen ist: "Ich hab ja noch mein Senftöpfchen, das ist ein Pfand. Und wir können drohen, wir machen es nicht!" Freilich: "Wenn der Kölner Treff nichts wird, dann liegt es an mir", und "in dem Moment entlaß ich mich selbst". Diese für das Fernsehen ungewöhnlichen Worte kann sich Biolek durchaus leisten. Er ist schon einmal freiwillig ausgeschieden - "aus Angst, Hauptabteilungsleiter beim ZDF zu werden".
Alfred Biolek wurde 1934 in Österreich-Schlesien geboren, "eine ganz verrückte Ecke, eine Brutstätte mit immer wieder neuen Verschiebungen". Der Vater zum Beisjnel wechselte fünfmal die Staatsbürgerschaft, aber nie die Nationalität. Ein Grund, weswegen Sohn Alfred kein Heimatgefühl hat: "Ich fühle mich als Europäer, da kriegt man so'n internationales Feeling."
Aufgewachsen ist Alfred Biolek in Stuttgart, hat dort als Student sein Geld verdient "als Mann auf der Bühne", indem er in Studentenkabaretts ("Das trojanische Pferdchen") mitarbeitete. Er promovierte zum Dr. jur. über internationales Recht - "ein komischer Fall", bei dem es um eine verweste Schnecke in einer Ginger-Ale- Flasche ging. Als Gerichtsreferendar mußte er auch Pflicht Verteidigung übernehmen, und da soll ein Schwöb gesagt haben: "Wenn i mal ebbes han, nem i Sie als Verteidiger. Sie macht einen grad onschuldig."

1963 wurde Biolek Assessor in der Rechtsabteilung des ZDF, wirkte damals u. a. mit am Vertrag über die Mainzeimännchen. "Das war die Goldgräberzeit", meint Biolek rückblickend. "In Mainz mietete ich ein möbliertes Zimmer und erzählte überall Witze, bis ich ins Programm kam." Und so wechselte Biolek schon nach vier Monaten von der Rechtsabteilung zur Kultur über. Er begründete die "Drehscheibe" mit, für die er drei viertel Jahr lang Redakteur war und deren Chef er schließlich wurde - verantwortlich dafür, "jeden Tag 25 Minuten zu machen". Er machte "Tips für Autofahrer", schuf den Titel "Urlaub nach. Maß". Dann endlich kam er zur Unterhaltung.

Heute meint Biolek: "Wenn ich gleich zur Unterhaltung gegangen wäre, hätte ich nie das Handwerk erlernt." Er wurde stellvertretender Hauptabteilungsleiter für Unterhaltung im ZDF, leitete die Abteilung 1 mit 13 Redakteuren (unter ihnen auch Margret Dünser), produzierte als Redakteur den "Nightclub" mit vielen internationalen Stars. Biolek ging freiwillig, als er wieder befördert werden sollte, ging zur "Bavaria", wo er als Unterhaltungschef u. a. die Herman-van-Veen-Show produzierte und damit Hoflands talentierten Entertainer für Deutschland entdeckte.

Doch nach drei Jahren ging Biolek wieder und kam im Januar 1974 als freier Produzent zum WDR nach Köln. Im Dezember 1973 war gerade nach sechs Jahren die alte Rudi-Carrell-Show ausgelaufen, im Frühjahr 1974 wurde die neue Rudi-Carrell-Show "Am laufenden Band" mit Biolek als Produzenten gestartet. Die nächste Carrell-Show läuft übrigens am 27. März, insgesamt sollen dieses Jahr neun Sendungen produziert werden.
Daneben kommt aus der Projektgruppe Fernsehspiel und Unterhaltung der "Kölner Treff", hier arbeitet aber auch Redakteur Rolf Spinrads an einer "Plattenküche", in der Frank Zander und Helga Feddersen Hits präsentieren sollen. Spinrads verdanken wir bereits Personality- Shows mit Otto und Udo Lindenberg.

Alfred Bioleks Terminkalender ist dicht gespickt. Das hindert ihn nicht daran, immer wieder zahlreiche Gäste in seiner liebevoll eingerichteten Dachwohnung zu bewirten. Dann geht das Gespräch mit Prominenten und Freunden über die Bratpfanne hinweg, gut gewürzt im doppelten Sinn, denn Alfred Biolek ist nicht nur ein ausgezeichneter Koch.



Uwe Witsch