Braunschweiger Zeitung
Johannes Unger

Van Veens Clownerien in der Stadthalle:

Herman — der Harlekin

8 nov 1984

Der Harlekin. Ein wenig verlassen steht er da, und doch schauen ihm alle zu. Er hüptt lustig herum und setzt sich traurig hin. Er lacht und weint und flüstert und schreit, hebt mahnend seinen Zeigefinger und hält flehend die Hände auf. Herman heißt er, der Harlekin. Herman van Veen.


Viele Leute kamen, um ihn zu sehen (füllten in Braunschweig gleich an zwei Abenden den großen Saal der Stadthalle). Van Veen ist ein bemerkenswerter Künstler: Er, der so viel in einer Person ist — Clown und Musiker, Pantomime und Schreiber —, beweist, wie Sprache, Musik und Mimik auf das, was man im allgemeinen .Gefühl” nennt, wirken können; beweist es denen, die es vielleicht schon vergessen haben.

Sein Auftritt ist Vorstellung, wenn er Theater spielt; Konzert, wenn er musiziert; Zirkus, wenn er Späße macht — immer so, wie's ihm gerade einfällt, aber beharrlich darauf bedacht, den Leuten klarzumachen, wie wichtig Melancholie und Traurigkeit, Heiterkeit und Freude sind. .Gebt jetzt ein Zeichen, ein Signal, daß Beharrlichkeit zum Ziele führt”, fordert der Harlekin mit zu großem Zylinder und roter Clownsnase.

Die ganze Zeit über begleitet ein Ballon über' der Bühne schwebend seinen Auftritt, wird rot, wenn Herman Liebeslieder singt, gelb bei Späßen und weiß, als Herman den Weltuntergang ankündigt. Der Ballon — ein Signal, wie es zu Herman van Veen paßt.
Alle Mittel sind ihm recht, dem Publikum teuer. Die Angst vor dem Krieg nimmt er dabei genauso wichtig wie die Liebe zweier junger Menschen, Arbeitslosigkeit und Ausländerfeindlichkeit so wie das Jonglieren mit kleinen Bällen. Er hat ein zärtliches Gefühl, singt er. So, daß niemand daran zweifeln kann. Zärtlich ist er in Worten, in Melodien, in Gesten.

Das Publikum wollte Herman van Veen nicht gehen lassen. Vielleicht fürchtete es, die Erfahrung, wie wichtig Gefühle sind, könne von zu kurzer Dauer sein. Der Schreiber dieser Zeilen gesteht:
er hat sich tief beeindrucken lassen — von einem Harlekin lieber als von jedem anderen.



Johannes Unger