Rotenburger Kreiszeitung
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Herman van Veen: Und er geht und er singt

8 jun 1985

„Es gibt nichts Schöneres als singen, und dann kommt tanzen. Sogar wenn ich traurig singe, bin ich doch sehr glücklich, und ich bin total glücklich, wenn ich traurig tanze.” Aber ein Traumtänzer ist er nicht, der Herman van Veen, oder besser: nicht nur.


Wer den Sänger, Geiger, Tänzer, Pantomimen, Parodisten, Schauspieler, Clown und Poeten noch nicht live erlebt, seine letzte Tournee verpaßt hat oder sich die Vorstellung noch einmal in Erinnerung rufen möchte, kann in den Texten und Bildern des Buches „Rasch und Röhring” die Fähigkeiten des Multitalents kennenlernen oder manchen hintergründigen Sketch, den er auf der Bühne für bloßen Klamauk gehalten hat, jetzt erst richtig verstehen.
Fließend sind die Übergänge von spielerischem Unsinn zu ganz und gar ernsten Themen, wobei die ebenso pseudochinesischen Comic-Zeichnungen am Rand aber noch eine andere Möglichkeit als die des Hakenkreuzes andeuten: Das ehemalige Ungeheuer Politik und das zarte Geschöpf Kunst hüpfen Hand in Hand verliebt auf eine (pseudochinesische) Sonne zu.

Der grausum präzisen Schilderung der Wirkung einer A-Bombe und der ebenso unmenschlichen schematischen Darstellung der „Stadien des Sterbens” eines todkranken Menschen, in 0 Schritten von „Schock” bis „Ende" im Diagramm („V.K. = vorbereitender Kummer, P,V, = partielle Verneinung”) stellt van Veen die Humanität seiner Lieder entgegen, die Einfühlung in Gefühle, in Leid und Ohnmacht („Warum gerade ich?”).

Von Krieg und Krebs, Arbeitslosigkeit und Apartheit singt er ebenso wie vom Verlust der Gefühle; Anpasser- und Aufsteigertum prangert er an - und versucht sich selbst jeder Anpassung zu entziehen: Warnt er einerseits selbst vor den Schrecken des Krieges, so spottet er andererseits Uber eine modisch gewordene Weltuntergangsstlmmung: „Die Bombe fallt nie!" („Die Welt ist mir den Kopf gestellt/durch diesen schrecklichen Bericht,/denn wenn die Bombe doch nie fällt,/bringt uns das aus dem Gleichgewicht.”)

Von Spott und Ironie nimmt er weder amerikanische Schallplattenidole noch das Publikum selbst aus. Respektlos parodiert er die technokratische Welt und setzt ihr seine träumerischen Clownerien und poetischen Spielereien entgegen; sie wollen die verlorene Naivität, Unbefangenheit und Unbeschwertheit des Kindseins zurückholen. Phantasie, Gefühl und Liebe beißen die Zauberworte, und vor allem Musik, die das Traurige so schön machen kann; Wie die Chansons von Edith Ptaf, der einer der schönsten Texte gewidmet ist.



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