Ostsee Zeitung
THORALF CLEVEN

Fanfare des Lebendigseins

Der Holländer Herman van Veen gastierte zwei Tage in der Rostocker Stadthalle

8 . Marz 1993

Rostock (OZ) Freitagabend. Minuten vor der Vorstellung stürzt eine Frau im Foyer auf den Mann zu, der dort überaus erfolgreich T-Shirts, CDs, Programme und Bücher des Künstlers verkauft. In der Hand hält sie ungläubig ein Heft mit Liedtexten Herman van Veens. Drauf steht: „In vier Sprachen". Sie hatte es gerade erworben. Doch die Frau drückt es dem Verkäufer wieder in die Hand, will ihr Geld zurück. Er fragt, warum. Sie: „Da steht ja so wenig in deutsch drin, das meiste ist ausländisch."


Minuten nach Beginn der Vorstellung führt Herman van Veen auf der Bühne ein fiktives Telefongespräch mit seiner~Mütt'er m Holland. „Ja, Mama, aus Deutschland ... Rostock... Ja, Mama, ich paß auf.“ Beifall.

Van Veen. Da steht er auf der Bühne, die Geige in der Hand, im Hintergrund schwingt dieser glühende Mond wie das Damoklesschwert hin und her. Verletzlich wirkt der Holländer, wie er da singt mit einer Stimme, die sämtliche Traurigkeit, aber auch alle Fröhlichkeit dieser Welt zu umfassen scheint. Das Rostocker Publikum hängt an seinen Lippen, um im nächsten Moment bereits die Augen erschrocken aufzureißen. Wie er da springt, dieser Irre auf der Bühne, wie er gräßliche Fratzen schneidet, die Kinder auf den Schoß ihrer Mütter springen lassen. Wie er gurgelt, wie er gröhlt, wie er stöhnt, wie er sich genießerisch an die Hose faßt... Van Veen als Fanfare des Lebens, des Lebendigseins.

Der 47jährige zieht 3000 Leute drei Stunden in seinen Bann. Eine Abhängigkeit zum beiderseitigen Vorteil. Die Bühne scheint nicht vorn zu stehen, sondern mitten im Saal. Es ist, als ob man diesen Mann nicht zum ersten Mal sieht. Sicher, keine alltägliche Begegnung, dafür aber auch nicht ungewöhnlich. Herman van Veen steht nicht „oben",er steht nicht „unten".
Durch seine fragenden, fordernden Blicke ins Publikum schwebt er zwischen seinen Geschichten und denen, die jeder einzelne an diesem Abend erzählen könnte.

Aus Banalem macht er Geniales, aus Niederschmetterndem zieht er Kraft, aus sich verloren Gebenden zaubert van Veen sich Findende. Die Methode ist einfach. Immer eine Handvoll Konfetti in der Hosentasche und die Schnipsel über das gestreut, was man ändern will - den Schirm, das Tuch, den eigenen Kopf.

Van Veens Botschaft ist noch simpler: Es gibt keine Botschaft. Gelebt wird im Augenblick, und in dem darf nichts verpaßt werden. Der Holländer bezeichnet sich als Clown. Er gibt sich selbst die Antworten auf eigene Fragen. Der Clown van Veen jongliert anmutig mit den täglichen Dingen des Lebens, den Schwierigkeiten, den kleinen und großen Problemen. Der Clown läßt sich nicht von ihnen überwältigen, er bringt sie auf den für ihn nächstliegenden Punkt. Einfach, will er sagen, aber darauf muß man kommen. Ohne Netz und doppelten Boden führt van Veen sein Publikum an das Allereinfachste heran, illusionslos. Clownerie par excellence. Unfaßbar.

Die Lieder. Van Veen als Vertreter einer auszusterben drohenden Spezies von Interpreten. Zärtlich deshalb streicht er über die Tasten der blinkenden Musikbox auf der Bühne. Drin die vinylkonservierten Toten: John Lennon, Freddie Mer-cury, Jaques Breli... Vor ihnen verneigt er sich mit Freddies „Take Your Breath Away", eines der schönsten Stücke des Abends. Der Sänger musiziert mit Freude und mit Freunden.

Dem langjährigem Partner Erik van der Wurff am Flügel und dem ausgezeichneten Nard Reijnders am Saxophon. Mit ihnen entdeckt van Veen seine Lieder immer wieder neu. Er singt mit durchdringendem Blick, gerichtet ins Nirgendwo. „Ich hab ein zärtliches Gefühl" und das Lied von Alfred Jodocus Kwak.

Dann geht er, wie er gekommen war. Mit dem Schirm durchs Publikum. Auf seiner verschwitzten Glatze allerdings kleben jetzt Konfettischnipsel.
Ein Zeichen.



THORALF CLEVEN