Die Welt
ALEXANDER SCHMITZ

Ein Joan Mirö der Bühne - Herman van Veen auf Deutschland-Tournee

Spielplatz für Philosoph und Tölpel

8 mrt 1984

Fünfzig Stationen in der Bundesrepublik und gegen Schluß der Tour auch in Österreich und der Schweiz, und in manchen dieser Städte gleich drei-, viermal hintereinander; Hamburg schon für mehrere Abende im November in Werbung; im Parkett, überall Leuchtschilder: "Ausverkauft".


Herman van Veen ist unterwegs auf weichen, weißen Sohlen, die riesighohe Stimplatte schweißperlig, das Haar seitlich gruselig, das Hemd, weiß wie Schuh und Hose, am Ende zerknüllt; seine Bühne ein poetisches Schlachtfeld, eine Puppenstube mit Bombe im Kinderwagen und dem Gift intellektueller Präzision in der Rassel, Spielplatz für Philosoph und Tölpel, Clown und Derwisch, Prophet, Dichter und Pantomime - die Welt um uns her, sie kennt ihn, wie er zum tränenerweichen blauäugig die zartesten Lieder hintuscht, hemmungslos gegen die Zeiten, großäugig gegen die Wirklichkeit.

In der Mitte seiner Mammuttournee, in Hamburg, im Norden, derweil weiter südlich die Narren defilieren: Da verausgabt der Holländer sich, wirft Reis in die Luft, verheddert sich in Zeitungsschnipseln und singenden Koffern, spuckt, schreit, salbadert Nonsens, der aus der Öffnung in seinem Gesicht als konkrete Poesie hervortritt; er läßt Babys brabbeln, Bomben werfen, flüstert, humpelt herum, krabbelt nach hier und nach da, überlistet sich selbst - ein Sammetschok- ker wie's ihn nicht noch mal gibt. Denn Herman van Veen ist ein sehr kluger Mann, der allen deshalb ans Herz geht, weil er ein Joan Mirö der Bühne ist, dessen bunte Farbkleckse kleine Inseln des Prinzips Hoffnung sind und der das Komplizierte unserer Welt zu reduzieren versteht auf eine Geste, ein Wort, einen Augenaufschlag und damit trifft, auf kürzestem Wege mitten in die Seelen hinein.

Aber dann scheut er sich auch wieder nicht, einfach nur albern zu sein, um Selbstzweck vorzuführen, pantomimisch und dabei mit allergrößte: Sparsamkeit alle Register zu ziehen um zum Lachen zu reizen. Aber die Lacher aus dem Publikum sind niemals Slapstick-Hickser, sondern immer die fröhlich klingenden Reaktionen auf die Schwermut, die von ober kommt: Es gibt einfach keinen traurigeren Geiger, keinen melancholischeren Faxenmacher als den weißen Mann dort oben auf der Bühne, wo der riesige Gummiaufblasmond wie eine große traurige Freude von Miró schwebt.

Herman van Veen ist der Künstler des Notwendigen, des äußerst verknappten, ein Figur gewordenes Gedicht.
Die vier Musiker, die er sich mitbrachte, entsprechen seinen Anforderungen voll und ganz.

Sie unterspielen, unterstreichen allenfalls sind Onomatopoeten, mit denen es Spaß machen muß, auf großer Tournee zu sein...



ALEXANDER SCHMITZ