Rheinische Post
BERNWARD LAMERZ

Hermann van Veen faszinierte in der Mercatorhalle

Seifenblasen steigen auf und zerplatzen

08 jan 1986

Eigentlich müßte man ihn nach diesem stürmisch gefeierten Abend in der Mercatorhalle in den Himmel loben. Da will er — der Moralist — aber gar nicht hin aus Furcht, nur wenige Bekannte vorzufinden. Überhaupt glaube er nicht an ein Leben nach dem Tod, erklärt er — seine Zahnbürste allerdings, die möchte er im Ernstfall doch vorsichtshalber mitnehmen. Er bezweifelt die Existenz Gottes und bittet gleichzeitig: „Lieber Gott, beweise, daß es dich nicht gibt!” Hermann van Veen ist der personifizierte Widerspruch; deshalp ist er so faszinierend human.


Der Poet läßt bunte Seifenblasen aufsteigen. Sie zerplatzen, noch ehe man sich ganz in die umschmeichelnde Lyrik der Texte, Bilder und der Musik über Liebe, Gewalt und Tod hineingeträumt hat. „Wo ist das Kettenkarussell, in dem mir so schön schlecht war?” Das tut nicht weh. Denn nicht Schock oder Schreck sind die Konsequenz, sondern einfach ein befreiendes Lachen, das die Relationen wieder gerade rückt.
Genau das ist Hermann van Veens Stärke, ist aber auch ein Grund dafür, warum er so schwer einzuordnen, so „unfaßbar" ist. Van Veen überschreitet ständig die Grenzen zwischen Gattungen, Bereichen und Themen, um Poesie herauszuspüren und dennoch die Seifenblase gleich wieder platzen zu lassen — „Hermann, sei nicht so pathetisch!"

Der Holländer hantiert mit einem bunten Luftballon und einem knallroten Regenschirm genauso selbstverständlich wie mit Musik von Vivaldi, Mozart, Chopin, mit Schuberts „Winterreise" oder einem Kirchenlied. Van Veen ist (Stimm)Akrobat, Tänzer, Clown, Pantomime (hier eine grandiose Zeitlupen-Studie über Boris Becker). Sein Slapstick ist dezenter als Blödel-Ottos Hampelei. Die Lichtregie ist einfallsreich, perfekt genauso wie die Musik der mit Synthesizer, Gitarre, Baß, Saxophon und Akkordeon besetzten Begleitgruppe. Vielfalt und Perfektion des Drumherum weisen völlig unaufdringlich auf den Kern hin — ein Glücksfall.

Van Veen ist kritisch, auch politisch, ; nuschelt nicht nur sanfte Kinderlieder ins Mikrophon. Doch seine Sensibilität versagt j es ihm offenbar, bei aller zeitweisen Härte auch noch verletzend zu werden. Er äußert keine platten Parolen.
Einen grünen Luftballon läßt er zerplatzen, um den Unterschied zwischen Theorie und Praxis darzustellen. So einfach ist das, und das befreiende Lachen darüber beruhig.



BERNWARD LAMERZ