Der Tagespiegel
Jochen Metzner

Der Charme des Harlekins Herman van Veen gastiert mit seiner Show im ICC

7 dez 1984

Die Show dieses Holländers ist etwas ganz Besonderes, Einmaliges. Herman van Veen ist ein echter Live-Künstler, dessen musikalisch manchmal etwas betuliche Lieder rein für sich genommen, etwa von der Schallplatte gehört, nur einen schwachen Eindruck seiner schöpferischen, künstlerischen Potenz vermitteln: erst auf einer Bühne angesichts des erwartungsvollen Publikums kann sie sich in ihrer Vielseitigkeit richtig entfalten.


Eine clowneske Figur schreitet da, mal mit, mal ohne rote Pappnase, durch wechselnde Bühnenbilder oder auch durch die vorderen Reihen des kleinen ICC-Saales, wo van Veen einen Teil seiner persönlichen Souveränität sogar auf einzelne Zuhörer zu übertragen vermag, die er — vielleicht etwas brachial — zum Mit- und Vorsingen einzelner Textzeilen animiert. Er selbst bricht gleich anfangs viele Barrieren im Verhältnis Künstler/Publikum auf, indem er schon während des ersten Liedes plötzlich vom Mikrophon Abstand nimmt und mit kräftiger Bruststimme, ohne elektrische Verstärkung, in den weiten Saal hinein singt, gut hörbar sichör auch noch in den hintersten Reihen.

Todernste und komische Momente sind in seinen Songs, Szenen, pantomimischen und schauspielerischen Einlagen immer untrennbar miteinander verbunden, halten die Show zwischen beiden Polen ständig auf der Kippe, woraus das dreistündige Programm einen guten Teil seiner Spannung bezieht. Ein Lied wie .Edith Piaf“, dessen pathetischer Vortrag durch keinerlei ironische Späße aufgebrochen wird und zu chansoneskem Dreiviertel-Takt ein Akkordeon sehnsuchtsvoll tönen läßt, ist da die einzige Ausnahme.
Ansonsten gewinnt der Sänger sogar dem .theatre nuclear force", dem „complete nuclear paradise“, komische Seiten ab, kokettiert auch hier wieder, mit der Winzigkeit seines holländischen Heimatlandes, dessen mit Holzpantoffeln herumwatschelnde Bürger sich ständig die Köpfe an den aufgestellten Raketen stoßen.

Herman van Veen will die verfeindeten Eigentümer der großen Waffenwälder in Ost und West mit »der wunderbarsten aller Musik", mit Monteverdi, Wagner und Mozart etwa, betören, hält Berlin für einen besonders geeig-, neten Ausgangspunkt dieser Unternehmung und läßt denn auch gleich ein paar sehr schöne Violin-Kantilenen hören. Doch die stocksteifen, kalten, in konturlose Regenmäntel gehüllten Vertreter feindlicher Mächte verfolgen den Harlekin in fast jedem Aufzug seiner Show, zerstören ihm auch die große weiße Fahne mit dem Fragezeichen, die er als Parteigänger der ständig Zweifelnden zuvor noch triumphierend durch den Saal getragen hatte.
Sie stecken immer wieder die Köpfe durch die seitlichen Bühnenvorhänge, sind auch Ausdruck einer bedrohlichen, schwer angreifbaren Anonymität. Die halligen, rastlosen Geräusche eines Bahnhofs, als Playback eingespielt, und das fahle Licht, das durch die Spiegelbatterien im Büh-; nenhintergrund vielfach gebrochen wird, sind die passenden Insignien ihrer Macht, bilden den multimedialen Rahmen ihrer eisigen Welt. Der kleine Herman van Veen kann sich nur mit seiner Violine, mit harmlosen Zaubereien und mit seiner unverstärkten Stimme dagegen auflehnen, will sogar einen Vertreter dieser-Inhumanität wachküssen, zum Leben erwecken. Doch ganz leicht, ist das nicht.

Die allzu wirklichen Bezüge der oft schon ins Surreale gedrängten Szenen liefert der kahlköpfige Holländer in Liedern wie „Signale" oder in dem leider traditionsreichen „Mein Vater wird gesucht" nach, deren Strophen die politisch Verfolgten auf der Flucht zeigen. Da Herman van Veen den Mann mit der typischen Agenten-Silhouette nicht rühren konnte, muß er also schon selbst, ganz allein, Bewegung auf die Bühne bringen.
Und er tanzt, daß es eine wahre Augenweide istl Seine schlaksige Gestalt läßt er in kunstvollen Luftsprüngen, in feinen Pirouetten herumwirbeln, steppt in den groben Holzpantoffeln der Niederländer mit federnder Leichtigkeit Allein schon seine zahllosen, höfisch gezierten „Kratzfüße", mit denen er sich während der Zugaben — jetzt in roten Stöckelschuhen — vom Publikum verabschiedet muß man gesehen haben.5 Nicht laute Begeisterung, eher tiefe, außergewöhnliche Ergriffenheit hat Herman van Veen am Ende seines Auftritts ausgelöst. (Noch bis 9. Dezember im ICC. jeweils 20 Uhr)



Jochen Metzner