Hannoversche Allgemeine
Michael Kück

Ein Spinner, ein Rätsel, ein Clown

Herman van Veen als Gast im ausverkauften Theater am Aegi

7 okt 1981

Das große Ereignis warf in diesem Fall einen besonders langen Schatten voraus. Der Stratege geht sorgsam vorbereitet in die Schlacht. Tourneen, zu denen ein Herman van Veen mit seinem Troß aufbricht, beginnen Wochen vor dem offiziellen Startschuß: Bio Biolek begrüßt den guten Freund wieder mal gerührt in seiner Bahnhofshalle, die Moderatorin im NDR stellt selig seufzend ein neues Lied vor, das Fernsehen wiederholt die Kinderserie, und die aktuelle Langspielplatte mit dem Titel "Die Anziehungskraft der Erde" taucht natürlich auch schon in den Regalen auf. Die Zeitschrift "Harlekijn", sonst eher schläfrig anmutend, rührt unterdessen emsig die Werbetrommel für ihren singenden Chefredakteur. Und wer nicht nur hören will, kann in einem schmalen RoRo-Bändchen mit Liedern, Notizen und Geschichten nachlesen, was der Guru eines sich besonders sensibel gerierenden Teils unserer Zeitgenossen zu Gott und gegebenenfalls auch der Welt verkündet. Was kann da noch passieren?


Der Stil hat sich gewandelt

Worauf warten wir? Ein Fragezeichen schmückt nicht nur den Titel dieses Buches. Der holländische Unterhaltungsstar hatte sich bei der Tournee vor zwei Jahren aus dem vertrauten Terrain nicht mehr groß herausgewagt. Die Routine erschöpft sich aber von selbst. Wiederholungen wirken auf die Dauer tödlich. Sie entziehen einer Begegnung jede Spannung, sie tendieren zur Floskel, und sie enden meist in Konvention. Was kann das Publikum heute von Herman van Veen erwarten? Besinnungspausen bewirken mitunter Wunder.

Die Titel zum seligen Sinnen und die bekannten Ohrwürmer sind rarer geworden. Der Stil der Show hat sich merklich gewandelt, und das gereicht ihr in einem ausverkauften Theater am Aegi nur zum Vorteil. Herman van Veen meidet deutlich den bequemen Mittelweg, schwimmt zum Beispiel hartnäckig gegen den wohligen Fluß der Trägheit an, in dem sich das Publikum so gern reckt und räkelt und treiben läßt. Die Macht der Gewohnheit erdrückt eben auch die Phantasie. All jene, denen das Stichwort aus der ersten Zeile zum Applaus schon genügt, läßt der Holländer listig über die eigene Schulter hinweg in einen Zauberspiegel blicken, in dem sich Softis Liebling plötzlich in einen bösen Buben verwandelt, der mit zynischen Sprüchen und chauvinistischer Attitüde die streichelnde Hand gelangweilt von sich abschüttelt. Was hat die Emanzipation denn gebracht? Frauen drehen sich ihre Zigaretten selbst. Und dann noch schief. Haha. Hört man natürlich nicht gern. Aber wem das nicht paßt: Ausgänge gibt es genug in diesem Theater.

Der Harlekin versteckt sein Gesicht hinter vielen Masken. Er dreht sich rasch im Kreis, er überlebt im Stehaufmännchenstil, und in der Rolle des Harlekins findet der von seinem Vorbild Chaplin in durchaus befruchtender Weise beeinflußte Herman van Veen zu besonders starken Momenten.

Da tänzelt, tobt, tappst und taumelt er über die Bühne, jongliert leichtfüßig über den Köpfen der Zuschauer quer durch das Parkett, ein Spinner, ein Rätsel, ein Clown, der lacht und weint und Farben liebt, ein Mann von 36, der so unschuldig spielt wie ein Kind, dessen Klugheit schon im nächsten Moment verblüfft und nachdenklich stimmt; ein Poet im übrigen, der auf der Flucht nach vom den Fallstricken des Gemeinplatzes sicherer ausweicht als früher.

Am Ende dann allein

Seine nach wie vor melancholisch eingeweichten Texte bewegen sich zwar in den vertrauten Bahnen, einsam, zweisam, drei sam und am Ende dann allein und wer weiß noch wo. Doch Herman van Veen atmet in gefühlsschwangerer Luft nun vorsichtiger, er beklagt in dem Stück "Herz" selbst die zur Mode verkommene Verinnerlichung, dieses ergriffene Hinein-Lauschen jener, die sich nach innen so verfeinern und nach außen so oft versteinern. Da klingen durchaus neue Töne an. Da verstecken sich Widerhaken, und die stechen auch mal.

Ein Abend der Irritation also. Und was irritiert mehr als die Stille? Was zerstört nachhaltiger die Illusion scheinbarer Gemeinsamkeit? In den Momenten, in denen sich Herman van Veen in die Sprachlosigkeit zurückzieht, wird die Brüchigkeit der Konstruktion namens Show mitleidslos /sichtbar.

Das nackte Gesicht der Illusion ist für uns die eigentliche Provokation.



Michael Kück