Wilhelmhavener Zeitung
Ulrich Groll

Ein Clown mit echten Tränen und Lachfalten

6 okt 1981

Herman van Veen vor begeisterten Zuhörern

1979 gingen 700 zu Herman van Veen in die Stadthalle, jetzt war kein Platz mehr frei. "Was habt Ihr in den zwei Jahren gemacht", frozzelte van Veen, "es hat sich gedoppelt!" Mehr als das. Über die 1600 Besucher hinaus standen noch viele vergebens an der Abendkasse. Doch er will wieder kommen.



Die Geburt einer so viel größeren vollends begeisterten Zuhörer-Gemeinde für den Holländer rechtfertigt sich im nachhinein durch seine Überzeugungskraft. Ohne Männlichkeitsgehabe, ohne Show-Firlefanz. Die Potenz Herman van Veens liegt auf anderen Gebieten. Der Sänger und Mime braucht nicht viele Worte, nicht viele Bewegungen. Drei Zeilen aus seinem Mund sprechen Bände, eine Geste ersetzt manchen Kopfstand des Ausdrucks.

Es ist die Beschränkung auf das Wesentliche, der Treffer auf den Kopf des Nagels, was gefühlsverwässemde gequält-heroische Beigaben entbehrlich macht, den Zuhörer aber ungeheuer betroffen. Wer kann den Kloß im Hals so einfach runterschlucken, den er spürt, wenn das heroinentwöhnte Mädchen vom Dach den desinteressierten Eltern - Vater: Sportschau; Mutter: Telefon - zuruft: "Papa, Mama, ich kann fliegen!"

Herman van Veen zielt aufs Herz, gehorcht dem "Beharrlichen Trommler" mehr als opportunistischem Kalkül und sauberer statistischer Ausgewogenheit. Er nimmt sich bewußt die Freiheit, "einseitige Bemerkungen" über die "Verunreinigten Staaten von Amerika" fallenzulassen, so wie er in der Stadthalle symbolträchtigen Reis durch den Raum wirft oder den Mächtigen dieser Welt auf dem Kopf herumtanzt. Menschlichkeit kontra Macht und Munition, "bin kein Kardinal, kein General", und der Wille, sein "Mäntelchen nicht nach dem Wind" zu hängen.

Sein Zungenschlag ist politischer geworden, mit schärferem Akzent. Geblieben ist die Sinnlichkeit seiner Sprache, deren Mittel er kontrastreich und konträr einsetzt und doch stets mit dem gleichen Ergebnis: Wirkung. Es kann der plötzliche Aufschrei nach einer sanft perlenden Passage ebenso durch Mark und Bein gehen, wie die kaum gehauchte letzte Zeile eines "normalen" Liedes mit "unnormalem" Ausgang.

Bei Herman van Veen hat man wenig Zeit zu überlegen, ob man weinen oder lachen soll: Er ist in einer Person der Komödiant in der Tragödie, der Tolpatsch im Thriller, der immer dem Massaker entgeht - und ist gleichzeitig das Opfer, der Getroffene, der Ohnmächtige.

Das macht ihn auf der Bühne stark, ein Clown, von dem man nicht nur weiß, daß er traurig ist der auch Tränen sehen läßt.

Natürlich auch Lachfalten - wenn er nicht gerade lächelt.



Ulrich Groll