Die Welt
MONIKA NELLISSEN

Beifallsstürme für Herman van Veen

Konfetti träufelt aus dem Stiefelchen

5 nov 1979

Herman van Veen schaut so blauäugig treuherzig in die Welt, daß niemand Schlimmes lesen mag aus diesem arglosen Knabengesicht, das wie bei einem Putto umrahmt wird von lichten Locken. Und dann heißt er auch noch Herman wie jener Landgraf, der im 13. Jahrhundert auf der thüringischen Wartburg den Sängerkrieg anzettelte.


Ein gutes Omen für den holländischen Herman, der den meisten seiner zeitgenössischen Sangesbrüder voraus hat, wirklich bei Stimme zu sein. Im CCH, wo er augenblicklich Station macht auf seiner Europatournee, tritt den unüberhörbaren Beweis an.

Er sieht unheimlich akkurat aus, selbst wenn er im schwarzen Ausgeflippten-Hemdchen erscheint, um als Herman der Muskelmann zu protzen. Listig setzt er seinen Saubermann-Habitus ein, offeriert blondschöpfige Frische denen, die erwartungsfrohe Spannung ihrem Heros entgegenbringen, genauso reinlich wie er, keine Schmuddelkinder. Selbst Schweiß wirkt bei ihm appetitlich, und seine sparsam eingesetzte zotige Lästerlyrik zieht nicht blank wie Django Edwards, der nach Kräften seinen Lendenschurz lüpft.

Herman van Veen ist der Leiseste, Raffiniertes, Klügste, vielleicht Weiseste unter den Alleinunterhaltern internationaler Zunge. Ein Mannkind, das trommelnd vor sich hin phantasiert und aus Stiefelchen Konfetti träufelt. Er ist ein Musical-Clown allererster Provenienz mit einem vorzüglichen Musikerteam, ein Balladendichter, dem die Trauer über ein sinnlos vertanes Leben nicht den Verstand vernebelt Ein sanfter Zyniker ist er, ein Antiheld, der lieber zwei Netze spannt als ungesichert abzustürzen.

Nur selten wird Herman van Veen monströs in seinen Mitteln. Er zerschmettert nicht das Trommelfell durch permanente Klangattacken, die oft hilflosen Dilettantismus kaschieren müssen. Und wenn er doch brüllt und tobt, dann ist der Aufrüttler Herman am Ende seines leise hinpsalmodierten Lateins, dann sitzt ihm die Not so im Nakken, daß er nicht anders kann, dann schreit er sie heraus.
.,Du hast Augen mit Blick auf das Meer", träumt der Romantiker van Veen einer verflossenen Amour nach oder witzelt: "Alle Wetter sagen die Herren, Geld versetzt Berge." Van Veen prangert Mißstände an, Lieblosigkeit, Heuchelei, Protzertum, die Unfähigkeit zu kommunizieren. Das tun seine anderen Kollegen auch, mag man da einwerfen. Sie verstehen sich ebenfalls als Glaubensbrüder des melancholischen Weltverbesserers, dem dennoch nie der Humor abhanden kommt.

Aber van Veen geht nicht mit Feuer und Schwert ins Gefecht, seine Überzeugungskraft ist gespeist von slapstickhafter Komik und einem verständnisinnigen Grünen, das verkumpelt. Und so laufen sie am Ende auch alle hinter ihm her, dem Rattenfänger, um ihn auf der Bühne noch einmal hockend zu lauschen. Bergpredigt im Hamburger CCH.

Sie wird noch fortgesetzt, täglich bis zum 14. November.



MONIKA NELLISSEN