RHEIN-ZEITUNG
Bettina Tollkamp-Bretz

Machen wir’s doch in Liebe

5. OKTOBER 1988

Die Nachrichten bescherten dir gerade mal wieder die neuesten Meldungen über Robbensterben und Fischtod, über unsichere Atomreaktoren und den nächsten potentiellen Kriegsherd, du willst (aus ideologischen Gründen) nie wieder das Fleisch von elend hochgemästeten toten Tieren essen, die definitiv Große Liebe ist gestern mit Sack und Pack ausgezogen und du bist dabei, dir zum xten Mal das Rauchen abzugewöhnen - und da kommt einer und will dir erzählen, daß die Welt noch zu retten ist? Mit schütterblondem Haar und kehliger Stimme steht er da und sagt „trotzdem, mach weiter, es lohnt sich - vielleicht...“


Herman van Veen ist wieder da, der lange Lulatsch mit dem zärtlichen Grinsen, der Sänger und Geiger, Pianist, Parodist, Tänzer, Schauspieler, Pantomime, Geschichtenerzähler und Clown: Der 43jährige Holländer geht nach drei Jahren Pause wieder einmal auf Tournee durch deutsche Lande, durch jene Gegend also, in denen man eine Sprache spricht, die sich wie das Holländisch von Betrunkenen anhört. So wenigstens erklärt’s der Hermann zuhause seinen vier Kindern, die den Papa nun etliche Monate werden entbehren müssen. Die neue van Veen-Tour hatte in Koblenz einen verheißungsvollen Auftakt.

„Endlich ist er wieder da“, meinen jene, die ihn noch aus den 70ern kennen, als er wie eine Art früher Ein-Mann-Roncalli in die Erschöpfungspause nach politisierten Zeiten stieß und eine ganz andere, seine verblüffend einfache Art der „Umgestaltung“ zeigte. Herman van Veen, der gute Mensch aus Utrecht, hielt’s und hält’s eben nicht mit Dogmen, mit Machtpositur, mit Kampf. Zarte Gesten, entwaffnende Zuwendung - das ist seine Sache. Und eine fast trotzige Dennoch-Liebe zu dieser Welt, die er, zwischen knallroter Clownsnase und immer höher werdenden Billardkugelstirn mit den leicht zusammengekniffenen Augen des Skeptikers betrachtet.

„Endlich ist er da“ meinen auch jene, für die nun das „New Age“ angebrochen ist, die Zeit der neuen Verantwortlichkeit für eine trudelnde Welt voller Müll und falscher Machtgier, voller Atom und Angst, Risiken und Rüstungswahn. Herman van Veen, nebenbei auch noch Herausgeber einer Zeitschrift, die diesen Zeitgeist Blatt für Blatt verpackt, könnte so etwas wie eine Gallionsfigur dieser Bewegung sein - wenn 'dem Multi-Talent nicht eben jenes Talent fehlte: stehen zu bleiben, sich festnageln zu lassen auf Positionen.

Und so tanzt er („ich bin heute so fröhlich, daß ich übers Sterben reden werde“) mit dem Tod einen Walzer, wagt sich im dünnen Clownsmantel in die Eiseskälte moderner Beziehungskisten, hat Aufschlag beim irren Leistungstrip Sport-Spiel-Spannung, singt Lieder, bei denen sich auch schon einmal „gehn“ auf „schön“ und „das letzte Bier im Stehn“ reimt. Mit Van Veen macht’s sogar Spaß, Tage zu durchleiden, die wie ein „Griff ins Klo“ sind - wer mag bei Herman schon Anrüchiges denken?

Botschaften? Ja, sicher will dieser seltsame Spielmann da auf der Bühne etwas verändern. Er will den Widerstand wecken, aber sein Zielgebiet ist nicht eine wie auch immer geartete politische Realität, sondern das Bewußtsein der Leute. Und da ist Herman van Veen kein Pathos zu hoch, um die Angst vor der Macht kleinzukriegen und kein Zaubertrick zu kindlich - kindlich genug kann’s sowieso nie sein. Wiehernd andächtig, steppend aufklärerisch, protestantisch zuversichtlich predigt der Holländer seit Jahren: „Man darf nicht sagen: Nein gegen Raketen. Nein gegen Amerika. Man muß sagen: Ja für das Leben. Ja für die Seele. Ja für die Menschen.“

Ach, Herman.



Bettina Tollkamp-Bretz