Kurier
GÜNTHER BAUMANN

Chansonnier Herman van Veen begeistert bei seiner Österreich-Tournee

Lachen mit geballter Faust

5. Mai 1993

„Willkommen im Grardhotel Deutschland", singt herman van Veen zur Begrüßung.

Hollands großer Chansonnier im Konzerthaus: Er trägt den Wienern etwas über die Deutschen vor. Hat er sich in der Tür, in der Stadt, im Land geirrt?



Hat er nicht.
Ein paar Verse über Spießer, Spekulanten, Fremdenhaß: van Veen wirft ein Schlaglicht auf das vereinigte Deutschland und fokussiert damit den Zustand vom Europa '93.

Wir können sein Lied kulinarisch genießen. Wir können uns aber auch Gedanken machen. Wien ist anders?
Nein. Wien ist Europa.

Und van Veen ist van Veen. Ein Moralist, der gern die Faust ballt, aber niemals ober-lehrerhaft den Zeigefinger reckt. Ein Clown, dem manchmal die Tränen kommen. Ein Liebender, der mit Wonne ins Labyrinth der Gefühle eindringt.

Sex, Lügen und große Show. Der Holländer springt aus dem Stand von politischen zu persönlichen Themen. Er reißt banale Witze und rüttelt an Tabus. Von der Männerfreundschaft rechter Recken gelangt er zu männlicher Zärtlichkeit; von der ehelichen Treue zur Lust am (Selbst-)-Betrug: van Veens Geschichten sind radikal und ehrlich, oft gewürzt mit liebevoller Ironie. Nichts wird unter den Teppich gekehrt.

Das Kunststück des Musikanten aus Utrecht: Er gaukelt uns keine heile Welt vor, sondern erzeigt, daß das Gaukler-tum eine recht kommode Position in einer unheilen Welt ist. Ohne daß man die Augen vor Katastrophen und Skandalen verschließen müßte. Herman van Veen ist ein sehr politischer Künstler.

Und er ist hinreißend privat.



GÜNTHER BAUMANN