Mannheim Abendblatt
Sönke Bolt

Immer munter bis zum Sarg

5 April 1989

Nur ein einziges Mal greift einer der Musiker zum Akkordeon. Die Tuba bleibt gleich ganz im Koffer. Vorbei scheinen die Zeiten, da vornehmlich tiefere Oktaven den Ton seiner Lieder, seiner Konzerte angaben. In seiner neuen Show mit dem programmatischen Titel „Bis hierher -und weiter“ hält der Sänger, Musiker, Clown, Pantomime und Entertainer Herman van Veen einigen Abstand zu den melancholischen, oft pessimistischen Klängen, die in den vergangenen Jahren seine Konzerte prägten.


Und er weiß offensichtlich sehr genau, daß die Fans diesen Wandel erst einmal nachvollziehen müssen: .Wenn mein Sohn ein Zauberer wäre, dann wären alle Menschen Freunde“, heißt es in einem jener teils gesungenen, teils gesprochenen Texte. Nicht mehr van Veen selbst verkündet hier die Botschaft vom Frieden auf Erden. Früher hat er noch Melodien von Anti-Raketendemonstrationen auf die Bühne getragen.

„Wenn ich ein Zauberer wäre“, lockt er einen Moment später und die Zuhörer halten erwartungsvoll den Atem an, „dann wäre jetzt... Pause!“ Vorhang, die Lampen im Saal leuchten auf, hastig ordnen die Zuschauer ihre verklärten Mienen. Eigentlich hätten sie jetzt ein Glaubensbekenntnis von „diese kahle Sänger aus Holland“, wie er sich selbst einmal beschrieb, erwartet. Schon früher hat sich van Veen gelegentlich gegen die sentimentale Stimmung gesträubt, die schnell unter seinen Besuchern aufkommt Mit einem Unterschied: In anderen Shows setzte er mit lauten Paukenschlägen oder Magnesiumblitzen Kontrapunkte zu allzu rührseliger Atmosphäre.
Jetzt provoziert er an diesen Stellen Gelächter, setzt selbstironische Pointen: „Neunzehnhundertfünfundvierzig war der Krieg zu Ende, marschierten amerikanische Soldaten durch nasse holländische Straßen. Und ich? Ich lag gemütlich und zufrieden im Bauch von meiner Mutter.“

Der 44jährige Medienuntemehmer aus Utrecht kokettiert nicht mit seinem Akzent wie die Femsehfiguren, die seit Jahrzehnten bundesdeutsche Bildschirme unsicher machen. Dafür kokettiert er um so fröhlicher mit deutschen Schuldgefühlen: „Nein Mama“, sagt er in einem fiktiven Telefongespräch mit seiner Mutter, „nein, die Deutschen sind nicht mehr so wie früher. Sie sind jetzt sehr nett zu uns Holländern. Und sicherheitshalber sind hier viele Amerikaner, die auf die Deutschen aufpassen.“ In einem älteren Programm hatte es noch geheißen: „In Deutschland gibt es Tierschutzvereine genau seit 1933*“ Solche Spitzen fehlen im aktuellen Programm. Da erzählt er lieber Anekdoten aus seiner Schulzeit, setzt die rote Clownsnase auf oder parodiert jene unerträglich theatralischen Figuren aus japanischen Filmen Überhaupt: P

arodien. Wenige Gesten, wenige Töne reichen, schon meint man, Al Jarreau vor sich Zu haben. Oder einen jener amerikanischen Entertainer, denen der Name der Stadt souffliert werden muß, damit sie „I’m very proud to be in... tonight“ sagen können. Herman van Veen parodiert sogar sich selbst.

In mehreren Szenen tritt eine Puppenspielerin mit seiner Imitation auf, der Tanz des Sängers und seines Ebenbildes en miniature auf dem Sargdeckel gehört zu den Höhepunkten der Show. Ja, Sargdeckel. Er läßt sich sterben: „Ich hab’ an allen meinen Freunden eine Karte geschrieben: Herman stirbt, kommst Du auch?“
Es gibt anschließend eine Wiederauferstehung, keine Angst. Sogar die Umarmung mit der furchterregenden Gestalt des Todes gerät zum Gag - unter dem Kostüm steckt unverkennbar eine junge Frau. Auch damit spielt er: „Kennst du das Gefühl? Du gehst über die Straße und plötzlich siehst du die Frau deines Lebens. Und du denkst: Die will ich sofort heiraten. Und dann sagt eine Stimme: Van Veen, das geht doch nicht, du bist doch schon verheiratet. Kennst du das Gefühl?“

Herman van Veen in der Midlife-Crisis? Ein fiktives Telefonat mit seiner Frau: „Hör doch bitte erst mal zu! Das hab ich doch nur für dich getan! Ich hab’ bei dieser Frau doch nur übernachtet! Sonst hätte ich doch dieses wahnsinnig teure Hotelzimmer bezahlen müssen! Und das Geld hab ich jetzt gespart, nur für dich!“

Das Publikum ist begeistert. Die meisten seiner Anhänger kennen van Veens Repertoire auswendig. Er braucht nur „Gudrun“ zu sagen und der Saal lacht, weil sich alle an das zehn Jahre alte Stück erinnern, in dem van Veen von seinen pubertären Träumen von eben dieser Gudrun erzählt. Und auch die Pingpongbälle sprechen für sich und die Konfettischnipsel aus der Hosentasche und die gelbe Öljacke, die zu Alfred Jodokus Quak gehört, dem Helden des gleichnamigen Kindermusicals, das van Veen geschrieben und gespielt hat.

Und dann die gute alte Sitte der Zugaben: Bis zur Erschöpfung* und bereits im Bademantel ließ er sich schon immer herausklatschen. So auch diesmal. Natürlich sind „Ein zärtliches Gefühl“ und „Heh, kleiner Fratz“ dabei. Aber auch ganz neue Stücke; es tauchen sogar Requisiten auf, die vorher nicht zu sehen waren. Also fest eingeplante statt spontaner Zugaben? Sicher. Nur die letzte, die wirklich allerletzte, die ist wohl echt.
Für eine Handvoll Unermüdlicher, die Saalbeleuchtung ist längst eingeschaltet, kommen die drei Musiker und van Veen noch einmal. Fast drei Stunden auf der Bühne haben sie schon hinter sich, haben die Kostüme mit normalen Kleidern vertauscht, in der Hand halten sie Notenblätter. Gespielt vorwurfsvolle Blicke: „Das war nicht verabredet!“ Und dann kündigt der Sänger „ein Lied für mich selbst“ an und singt „Baby, I can hold you“ von Tracy Chapman. Mit Akkordeonbegleitung.
(Am 19. und 20. April tritt Herman van Veen im Mannheimer Rosengarten auf.) Sönke Bolt



Sönke Bolt