Abendzeitung
Markus Beck

Ein Hofnarr zwischen Traum und Wirklichkeit

Herman van Veen gastiert in der Nürnberger Meistersingerhalle

5 mrz 1986

Die Denkfalten glätten sich, die hohe Stirn scheint plötzlich auch für Kopfbälle geeignet. - Der Holländer Herman van Veen wird bei Fußball fast fanatisch. Der liedermachende Clown plädiert für den totalen Angriffsfußball, will die Abseitsregel abschaffen und schwärmt von der Spieltaktik des Trainers Johann Cruiff: .Alles nach vorn, das ist spektakulär, manchmal schießt sogar der Torwart ein Tor, gutes Theater funktioniert auch so, Flucht nach vorn.
Cruiff’s Mannschaft verliert zwar meistens, aber allein der Versuch ist genial. “ Nicht das Ziel, sondern der Weg ist dem Entertainer Herman van Veen wichtig, der seine kleinen Wahrheiten dem Publikum lieber unterhaltsam unterschiebt. „Auf dem Weg zu Dir“ heißt sein neues Programm, mit dem der Entertainer am 12. und 13. März in der Nürnberger Meistersingerhalle gastiert.



Pantomime, Musiker, Sänger, Komiker - für den All-round-Entertainer führen viele Wege zum Publikum. „Als Clown, der singt“, will Herman van Veen die Menschen „berühren“, nicht als ideologieschwangerer Weltverbesserer.

Van Veen: „Den Rechten bin ich zu links und den Linken nicht links genug. Ich mache keine Politik, die erklärt nur die gemachten Fehler. Man darf die Fehler aber nicht akzeptieren, muß sich immer wieder entschuldigen, die Unschuld bewahren.“
Als Clown mit guter Miene zum bösen Spiel eröffnet er seinem Publikum meist die Chance, sich über die oft nur angedeuteten Probleme hinwegzulachen.
Van Veen: „Nein, Lachen ist immer auch Selbsterkenntnis und dadurch positive Energie. Zynismus dagegen ist ein reines Verteidigungssystem, ein gekauftes Vergessen durch Nicht-Kommunikation.“

Probleme sollen im Menschen nicht implodieren, sondern Teil der ganzen Welt werden, die van Veen als „Gefühl“, ein lebendes Wesen wahrnimmt: „Es muß allen gutgehen, oder es geht keinem gut.“ Von einem derart dynamischen Weltbild sind kaum Standpunkte oder konkrete Antworten zu erwarten, höchstens „Signale“ (so der Titel des letzten van-Veen-Programms).

Van Veen: „Ich will Zeichen setzen. Zum einen sind wir konservativ, hoffen aber gleichzeitig, daß es besser wird. Da werden dann Clowns wie ich gemietet, um etwas auszuprobieren. Die gehen als erste übers Minenfeld und müssen für das Publikum ihre Angst überwinden.“

Weiser Clown oder dummer August

Für den Mietclown Herman sind Auftritte „ein Alibi, um öffentlich um Hilfe zu rufen“, selten laut, meist melancholisch leise und traurig ob der schönen Illusion - „was wäre, wenn ...“. Vielen ist das zu lasch, nicht kämpferisch genug. Auch das neue Programm wurde schon als zu oberflächlich mit „tränendrüsiger Beschwörung einer heilen Welt“ kritisiert.

Van Veen: „Die Leute gehen aus, wollen sich ein paar Stunden mit etwas Schönem beschäftigen, es gefällt oder nicht, mehr kann man nicht erwarten.“
Auf der Bühne ist van Veen eben in erster Linie Entertainer, erst dann Mensch im Dienste der Menschlichkeit. Der Hofnarr der Gesellschaft hat einen schweren Job. Ist er mehr weise als unterhaltsam, kündigt ihm das Publikum, andersrum bekommt er von der Kritik eins auf die Narrenkappe. Aber van» Veen hat auch Resultate t vqrzuweisen: „Ich bin optimistisch und habe etwas gemacht. Seit 15 Jahren bin ich UNICEF-Botschafter, singe viel Geld für die Dritte Welt zusammen.“

Selten gelingt es, den gesprächigen Wanderer „im Niemandsland zwischen Wirklichkeit und Trauip“ in die Realität eines journalistischen Frage-Antwort-Spiel-chens zu zwängen. Van Veen plaudert, denkt nach, erwartet Reaktionen vom Gegenüber. Wie auch auf der Bühne vom Publikum. Da ist ihm allerdings die Stille am liebsten, nicht beifälliger Applaus und laute Lacher: „Die totale Verwirrung, wenn ich die Leute denken höre.“

Van Veen: „Ich kann nur wie ein Wissenschaftler mit der Methode des organisierten Zufalls neue Wege ausprobieren, Mut machen. Ein Clown der singt, will ich sein, nur durch die Art zu denken. -Eigentlich bin ich zwei Clowns, ein dummer August und ein weiser Clown, Chaos und Wissen. Das zu kombinieren ist eine Aufgabe.

Ich bin eben schizophren, und das hat einen Riesenvorteil: Man ist nie allein.“



Markus Beck
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