Marler Zeitung

Im Bademantel gab der Songpoet ein
"Konzert nach dem Konzert"!

5 mrt 1983

Ein Geschenk für enttäuschte Fans
Eigentlich nur Fernsehaufzeichnung geplant / Stegreifstücke

„Boh, Hermann, das ist gemein. Ich habe 22 Mark für dieses Konzert bezahlt und nun soll nach einer Stunde schon Schluß sein?“ entrüstete sich eine bitter enttäuschte Zuschauerin. Zu Recht. Hermann van Veen, der holländische Songpoet, war sichtlich verwirrt. Für einen Moment stand er ratlos auf der Bühne. Offenbar wußte er nicht, daß man ein norrpales Konzert erwartete und daß die Zuschauer dafür auch bezahlt hatten.



Seine Information lautete: ZDF-Aufzeichnung mit dem Titel „Eine Stunde mit Hermann van Veen“. Besagte Stunde hatte er nun bestritten, wenn auch darin einige seiner schönsten Lieder und Szenen fehlten.
Gleichwohl ließ sich Hermann van Veen auf eine Plauderei mit seinem Publikum ein und hörte sich die Standpunkte der Zuschauer an. Dann meinte er: „Tut mir leid. Ich weiß nicht mehr. Mein Repertoire ist zu Ende. Darauf war ich nicht vorbereitet.“ Einige Fans fragten sich angesichts dieses Zwischenfalls: Ist das noch der Mann, der hinter seinen Liedern steht und das verkörpert, was er singt? Oder ist das der abgebrühte Superstar, der auf die Gunst und die Sympathie des Publikums pfeift?

• Dennoch holten sie ihn mit frenetischem, minutenlangem Beifall auf die Bühne zurück. Und dann geschah etwas, womit Hermann alle Zweifel ausräumte und sein Publikum versöhnte. Van Veen — inzwischen im Bademantel — sang und spielte alles, was ihm einfiel. Zunächst einige Lieder auf Holländisch, dann auf Englisch. Mit sehr viel Humor brachte er ein Stegreif-Konzert. Dem Publikum wurde schnell klar, warum van Veen seine deutschen Lieder nicht aus dem Handgelenk schütteln konnte: Ein Mann, der in drei, manchmal vier Sprachen singt, gerade vier Monate in Amerika aufgetreten ist und das letzte Mal vor mehr als einem Jahr in Deutschland war, kann nicht alle Texte auf Anhieb in Deutsch parat haben.

• Aber auch dieses Problem ließ sich lösen: Aus der Garderobe brachte einer eine Menge mit allen Texten, die van Veen je geschrieben hat. Und dann ging es los: Der Songpoet saß im Bademantel auf dem Bühnenrand, die Zuschauer hatten ihre Plätze verlassen, saßen und standen um ihn herum. Eine Atmosphäre, wie sie gelöster und familiärer im eigenen Wohnzimmer nicht sein kann.
Ein Konzert, als sei es unter vier Augen.

Die Zuschauer wünschten sich ihre Lieblingsstücke und van Veen sang sie aus seinem Textbuch vor. Zwei Stunden dauerte dieses „Konzert nach dem Konzert“. Für die Musiker war es auch ein Abenteuer. Manche Stücke hatten sie schon Jahre nicht mehr gespielt, die Melodie oder den Rhythmus vergessen. Zur Erinnerung sang Hermann für die Musiker die jeweilige Melodie noch mal an und dann ging die Post ab. Selbst der erst 18jährige Bassist spielte die für ihn fremden Stücke eifrig mit.
Hermanns Kommentar: „Das hat er noch nie gespielt. Das kann er auch gar nicht kennen, weil er noch gar nicht geboren war, als wir dieses Stück geschrieben haben ...“