Oranienburger Generalanzeiger
Petra Meyer

Träumer von nebenan

Hermann van Veen feiert sein 25jähriges Bühnenjubiläum

5. Januar 1993

Berlin - Für die einen ist Hermann van Veen der Clown und Träumer. Der seltsam elastische Gefühlsakrobat, der seine Gedanken in eine schillernd bunte Seifenblase verpackt. Für die anderen wird er für seine Naivität gescholten oder schlichtweg ignoriert. Doch die, die ihn lieben, sind ihm treu.


Das deutsche Publikum hat den Holländer aus Utrecht zum ersten Mal 1974 im Hamburger Schauspielhaus gesehen. Er wurde kein Best- aber ein Longseller. Heute steht er seit 25 Jahren auf den Bühnen der Welt, seine Tourneen werden immer länger und seine Fans mit ihm immer älter.

Hunderte von Interviews gab Hermann van Veen in der Zwischenzeit und pünktlich zum Jubiläum stellt er sich dem Jornalistenpulk erneut - sicherlich gut gelaunt zwischen seinen Textern Heinz Rudolf Kunze und Thomas Woitkewitsch. Im Gepäck hat er seine neue Platte „You take my breath away“. Nichts Eigenes bringt der Holländer damit auf den Markt. Dafür singt er Popklassiker wie zum Beispiel „Susanne“ von Leonard Cohen oder „Blackbird“‘ von John Lennon und Paul McCartney.

Ach ja, der gute alte Hermann. Auch noch mit 47 Jahren ist er das Kind, das weint und lacht. Er erzählt von dem alten Musiker an der Brücke, von dem wunderschönen Baum und dem tollen Leben. Auf die Fragen antwortet er nicht mit Ja oder Nein, sondern mit kleinen Geschichten, mit Bildern und seinen Träumen.

Das einzige was er will, ist den Menschen ein Lächeln auf die Gesichter zu zaubern. Und das schönste Kompliment ist es, wenn es bitter kalt und die Leute nach seinem Konzert nicht frieren, obwohl sie ihren Mantel vergessen haben.

Für diesen Mann spielt sich das Leben nicht in der Weltpolitik. auf dem Schlachtfeld oder in der Wirtschaft ab. Nein, in der Küche, im Badezimmer, in der Wohnstube, da wird richtig gelebt. Und wahrscheinlich sei dieses Leben viel wichtiger als die Dinge, über die man sich so seine großen Gedanken macht. Es ist der junge Hund an seiner Seite, der ihn während der Tagesschau von Selbstmordgedanken abhält. Aber so einfach ist es eben doch nicht. Gerne, erzählt van Veen, wäre er Volksmusiker geworden. Das gehe aber nicht, „dafür bin ich viel zu kompliziert und habe zu viel gesehen“.

Der Holländer verblüfft immer wieder mit Antworten zu jedem Problem, mit seiner Meinung, die er scheinbar fertig mit sich in der Tasche herum trägt. Egal ob nach seiner Lieblingsspeise gefragt wird - dazu gehören Apfelmus, Fisch und Pommes - oder nach dem Rechtsradikalismus. Auf jeden Fall will Hermann van Veen etwas bewirken und sei es nur als berühmter steter Tropfen auf dem Stein. Wenn es aber um Politik geht, schweigt er schon mal, wendet den Blick zur Dek-ke und rauft sich mit den Fingern das Resthaar.

„Wenn ich heute in meinen Konzerten das Wort,braun' sage und will über Solarien sprechen, hat es plötzlich eine ganz andere Bedeutung“, sagte er. Laut wird seine Stimme, als er von jungen Deutschen erzählt, die viel zu wenig vom zweiten Weltkrieg wissen, die auch nicht erahnen, was die Gewalt für ältere Menschen bedeutet, die wieder mit der Vergangenheit konfrontiert werden. „Es herrscht eine solche Dummheit, daß es nicht mehr inteligent ist.“

Doch dann will Hermann van Veen doch wieder positiv denken und er weiß, daß sich die Menschheit in einem Kaiserschnitt befindet. Das tue zwar weh, aber es beginne wieder zu strömen und „eigentlich leben wir in einer grandiosen Zeit“.
Hermann van Veen ist einer, der sich gerne mit anderen vergleicht, einer der vor dem Spiegel genauso lächerlich aussehen will, wie alle anderen auch. „Ich habe hier einen Pickel“, erzählt der Holländer und zeigt auf die Leistengegend. „Nun überlege ich mir: lasse ich ihn wachsen oder drücke ich ihn doch aus. Das ist für mich ein Problem.“

Aufhören zu singen? Für Hermann van Veen ein völlig fremder Gedanke. „Ich bin vielleicht nicht der beste Künstler der Welt. Aber ich gewinne alle Goldmedaillen, weil ich meine Job liebe. Es gibt mich, wenn ich singe. Wenn ich singe, fliegen die Probleme mit dir weg.“

Dann ist er superglücklich und weiß, daß er seine Geige auch noch in hundert Jahren spielen will.
„Ich sah einen alten Mann an der Brücke, der spielte für ein paar Pfennige Akkordeon. Und dann kam ein kleiner Junge und stellte sich direkt vor der Nase des alten Mannes auf. Und der Mann nahm sein Akkordeon und spielte nur für diesen Ju-gen. Wenn mich kein Arsch mehr hören will, mache ich es genauso.“

Hermann van Veen ist, was er ist und hat keine Lust, über sein Image nachzudenken. Heute abend wird er allein im Bett liegen, die 24 Kanäle rauschen vorüber und er stürzt in den Schlaf. Müde ist er auch nach den drei Stunden, die ihn die Journalisten gelöchert haben.

Seine Hände fliegen nicht mehr, der Blick ist erloschen. „Ich habe keine Antworten mehr“, gesteht Herrmann van Veen, wendet sich mit traurigen Augen an die Vertreter der Plattenfirma und fügt hinzu:
„Ich habe Angst.“



Petra Meyer