Süddeutsche Zeitung
Anne Rose Katz

Mit Herman gegen die Angst

Das Bayerische Fernsehen bereitet eine Kindershow mit dem holländischen Entertainer van Veen vor

4 aug 1977

Vom 13. November an, sonntags 14.45 Uhr, macht der Bayerische Rundfunk im ARD-Programm sechs Wochen lang wahr, wovon viele Produzenten oft gesprochen haben, ohne es in die Tat umzusetzen: er zeigt eine Show für Kinder, die mit einem Aufwand geschrieben, finanziert und produziert wurde, wie er sonst nur für Große üblich ist.


Beim diesjährigen Prix-Jeunesse- Seminar konnte man mehrfach der Ansicht begegnen, daß Kinderprogramme aus denselben Elementen zusammengesetzt sein sollten wie die allgemeinen Sendefolgen am Abend; ihr Verbleiben im Getto für Gartenzwerge sei realitätsfremd und entwicklungshemmend. Was man dann allerdings in dieser Art aus Japan und USA zu sehen bekam, glamouröse Allerweltsunterhaltung nach den plattesten Strickmustern, das widerlegte diese Argumentation beinahe.

Nun stellt sich heraus, daß das Fa- müienprogramm des Bayerischen Rundfunks schon lange vorher ein Projekt in der Schublade hatte, das augenblicklich in den Studios von München-Unterföhring abgedreht wird. Es handelt sich um eine sechsteilige Show mit dem holländischen Alleinunterhalter Herman van Veen, der in seiner Heimat ein "Super-Star" und hierzulande allmählich auch mehr als ein Geheimtip ist. Mit diesem erfolgreichen Außenseiter nahm der BR schon vor Jahresfrist Fühlung auf - seitdem wird geschrieben und komponiert, choreografiert und organisiert für "Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen", eine Kinderserie. Hanns Helmut Bock (Redaktion) und Heinz Lindner (Regie) entwickelten nach Ideen des Spaßmachers, Sängers, Geigers und Pädagogen eine Revue, die einen gleichbleibenden Schauplatz als Ausgangspunkt und acht durchgehende Figuren präsentiert. Man wollte keinen Schnittsalat wie beim Werbefernsehen und keinen j emotionalen Streß der Zuschauer durch gefühlsmäßige Bindung an immer neue Figuren.

"Rollen zu schreiben, wäre falsch gewesen", erklärt Bock, "denn Herman (so heißt er auch in der Show) ist ein Improvisator. Sein Reiz besteht gerade in einem spontanen, kreativen Spiel. " So werden also Geschichten erzählt, die alle in einer achteckigen Windmühle spielen, mitten zwischen Hochhäusern. Hermans philosophisch-pädagogische Zielvorstellung ist: man muß die Dinge beim Namen nennen, um sich von Ängsten zu befreien. "Ich will mich selbst befreien", sagt er, "auch ich unterliege Ängsten, und meinen Zuschauern will ich auf heitere, spielerische Weise auch dagegen helfen." Zum Beispiel in der Folge 3 "Das ängstliche Gespenst". Herman liegt allein im Dunklen.
Plötzlich erscheint ihm ein undefinierbares Etwas, ein weißes Gespenst. Nun geschieht das Unerwartete: bevor er anfängt, sich zu fürchten, kehrt sich die Situation um - das Gespenst hat Angst vor den Menschen. In einem zarten Chanson reflektieren nun beide Wesen ihre Lage. Wenn man seine Situation bedenken und ausdrücken kann, weicht die Angst, - das will Herman sagen, ohne Zeigefinger, sogar amüsant.

Der geigende Holländer aus Utrecht ist schon oft im holländischen und im deutschen Fernsehen aufgetreten - aber immer waren das nur aufgezeichnete Bühnenshows. Darum empfand er das Münchner Angebot für eine medienspezifische Aufgabe als sehr attraktiv. Da er in Wirklichkeit das Gegenteil eines Allein-Un- terhalters ist, stützt er sich auf einen Kreis von Freunden, die Gruppe "Harlekijn Holland". Mit ihr arbeitet er seit Jahren im Team. Die kollektive Spielfreude und Erfindungslust konnte verhältnismäßig unkompliziert für die Sache nutzbar gemacht werden, obwohl es nicht ohne eine Art Pendelverkehr zwischen Amsterdam und Unterföhring abging.
Als dann die erste Klappe für die Außenaufnahmen in Tunis fiel (Wüste!), wurde offenbar, daß man sorgfältig und realistisch geplant hatte: die Rädchen liefen ohne Quietschen wie in einem Uhrwerk zusammen. Die Harlekijns fügten sich auch in der Praxis sinnvoll und witzig ein: der eine spielt Klavier, wenn er nicht gerade in seinem großen flämischen Schrank auf der Hängematte schläft, der andere bläst Posaune, die anderen tanzen und singen und halten die verrückte Handlung der Sendungen in Gang.

Die anderthalb Millionen Mark für die Produktion brachte der Bayerische Rundfunk auf, zusammen mit Telepool, München, der katholischen Rundfunkstation KRO, Hilversum. Es beteiligte sich auch die Deutsche Grammophon, Hamburg, was auf eine spätere, umfangreiche Auswertung hinweisen dürfte.

Drei Familienväter machen sich und ihren Kindern einen Millionenspaß: Böck hat zwei, Herman hat zwei, Lindner hat vier. Wenn sie ihrem Prinzip treu bleiben und exakt das produzieren, worüber sie und ihre Kinder gern lachen und nachdenken, dann müßten sie damit eigentlich auch andere Kinder und Eltern unterhalten können. "Am liebsten wären uns Kinder von 8 bis 80", erklärt Böck. Die Zeichen dafür stehen günstig.



Anne Rose Katz