AACHENER NACHRICHTEN
RUDOLF TEIPEL

Ein Magier der Toleranz

4. Mai 1991

Begeisterter Beifall für Herman van Veen in Aachens Eurogress

AACHEN.- Der Mann hat sein Publikum im Griff. Wenn Herman van Veen im Aachener Eurogress die Bühne betritt, brandet der Beifall in Orkanstärke auf. Sekunden später kann man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören, wenn das niederländische Multi-Talent sich mit dem berühmten flämisch gefärbten Nuscheln an seine Zuhörer wendet. Oder - absolut frappierendes Beispiel von großartigem Entertainment: da liefert van Veen als einzigen Schwachpunkt des Abends ein belangloses Medley aus einem Lied über die Cosa Nostra, Frank Sinatras „My Way“ und einem Rock’n’ Roll-Song ab, um anschließend mit dem im Rhythmus klatschenden Publikum eine „Klatsch-Symphonie“ einzuüben.


Ganz im Stil eines großen Dirigenten gelingt es dem niederländischen Singer-Songwriter sein Publikum zu Klatsch-Kaskaden unterschiedlicher Intensität, Rhythmik und Lautstärke zu stimulieren. Perfekt harmoniert die linke Saalhälfte mit der rechten, schweigt die rechte, wenn die linke ihr „Solo“ hat. Das schafft nur einer, der sicher sein kann, mit seinem Musik-Theater das Publikum vollständig gefängenzunehmen.

Wer ist dieses Publikum des Herman van Veen ? Gewiß keine homogene Masse, die sich in Neigungen und Gewohnheiten einem bestimmten (Sub-)Kulturkreis zurechnen ließe. So läßt sich kaum eine Altersstruktur erkennen (neuerdings werden auch Kinder in die Konzerte des Schöpfers von Alfred Jodokus Kwak mitgebracht). Eher schon läßt sich feststellen, daß das weibliche Geschlecht in der Zuhörerschaft dominiert. Doch sehen auch die Männer nicht aus „wie von der Ehefrau mitgenommen“. Da sitzen einträchtig nebeneinander soignierte Schlips- und Entscheidungsträger und überzeugte Anhänger von Pullovern aus repressionsfreier Wolle.

Sie alle sind empfänglich für die außergewöhnliche Stimmung, die Herman van Veen mit seinen eigentümlichen Collagen aus Liedern, szenischen Elementen, Rezitationen und Slapstick zu zaubern vermag. Der niederländische Entertainer bringt mit seinen beiden musikalischen Mitstreitern Erik van der Wurff und Nard Reijnders soviel Wärme und unverbildete Menschlichkeit über die Rampe, daß sich im Publikum eine Atmosphare der Toleranz verbreitet, die so von keinem anderen Künstler herzustellen ist.

Sie entsteht vor allem dadurch, daß der niederländische Magier der Toleranz seinen Zuhörern Freiräume läßt zur ganz persönlichen Interpretation des Gesehenen und Gehörten. Irgendwie ist in den Texten und Szenen van Veens das Ende immer offen, bleibt Raum zu eigener intellektueller und emotionaler Verarbeitung.

Vor allem zu emotionaler. Denn der Barde aus unserem Nachbarland kann sehr sentimental sein. Aber Sentimentalität ist nicht gleich Kitsch. Und kitschig ist van Veen nie. Außerdem hat er das Problem selbstkritisch erkannt: „Ich bin manchmal sehr melancholisch. Und dann habe ich den Hang, zu erklären, was völlig selbstverständlich ist. Zum Beispiel finde ich, daß wir immer noch beschissen sterben.“ Um gleich danach urkomisch den Tod eines Heldentenors auf der Bühne zu persiflieren.

So ist das mit Herman. Er kann todtraurig sein und irrsinnig albern. Zum Beispiel, wenn er als Hobby-Ornithologe den Schrei des exotischen Vogels Kropoek (die Namensgleichheit mit einer Spezialität aus chinesischen Restaurants ist vermutlich'' durchaus beabsichtigt) imitieren will. Da gibt es nur ein Problem, wie er in früheren Konzerten peinlicherweise erfahren mußte: Trifft er den richtigen Ton, springen den Damen die Tampons ‘raus, „also Frauen - Hand davor“. Zotig wirkt so etwas bei vah Veen keineswegs, auch und gerade der weibliche Teil des Publikums applaudiert mit Vehemenz.

Ohnehin sind gleich danach in der typisch van Veenschen Schocktherapie die nachdenklichen Töne angesagt. Etwa in Songs über die Einsamkeit im Alter, das immer wiederkehrende Thema Tod und die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Es sind immer noch und seit Jahren die großen melodiösen Lieder zu diesen Motiven, die im Publikum allseits bekannt sind und schon beim ersten Ton frenetisch beklatscht werden. „Weißt du, wie es War“, „Anne“, „Guigui“ und vor allem das „Zärtliche Gefühl“ - Schwelgen in musikalischem und emotionalem Wohl-klang.

Kein Wunder, daß sie ihn nicht von der Bühne lassen, als drei Stunden van Veen pur hinter dem Auditorium liegen. Der Entertainer, der zwei Jahre in Deutschland nicht mehr gastiert hatte, lasst sich - nicht lange bitten.
Zwar schmettert er piit ausgebildeter Konzertstimme nach der x-ten Zugabe in strahlendem Belcan-to: „Das war nicht ausgemacht. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste !“. Aber er singt und rezitiert dann doch wieder und wieder. Schließlich erneut ein zaghafter Versuch des Rückzugs:
„Ich singe jetzt ein wunderschönes Lied, und ihr geht währenddessen ganz leise ‘raus.“ Das verfangt natürlich beim Publikum nicht. Also geht es weiter. Noch als die Bühnenarbeiter schon die Dekoration abbauen, muß sich van Veen wieder und wieder dem begeisterten Auditorium zeigen. Zwei Jahre war Herman van Veen nicht mehr auf deutschen Konzertbühnen zu sehen. Das Aachener Publikum hat dem niederländischen Entertainer nachdrücklich klar gemacht, daß ihm das entschieden zu lange war.



RUDOLF TEIPEL