Neue OZ Osnabruecker ZTG
Rainer Wilde

Das ganze Herz voll zärtlicher Melancholie

4. April 1992

„Laßt uns nie mehr im Dunkeln leben“, singt Herman van Veen ziemlich am Ende seines Programms. Die Lichter im Saal flammen auf und erlöschen dann nicht mehr. Aber das vertreibt die Stimmung und Faszination nicht, und die Zuhörer bleiben fast alle, trotz der Aufforderung, bei einer Zugabe leise den Saal zu verlassen. Erst nach weiteren Liedern leert sich der Raum. Da sind knapp drei Stunden vergangen, in denen der Holländer sein Publikum im ausverkauften Europasaal der Osnabrücker Stadthalle, wo er -noch fast am Beginn seiner einjährigen Tournee - bis heute abend drei Konzerte gibt, fesselte.


Auch das neue Programm dieses Magiers der Gefühle ist voller überraschender Stimmungswechsel, voller Poesie und Witz, Humor und wehmutsvoller Tristesse. Herman van Veen hat das Herz voll zärtlicher Melancholie und skeptischer Menschenliebe, und der vielseitige Künstler verzaubert sein Publikum mit Leidenschaft und List und einer ebenso spontan wirkenden, wie effektvoll kalkulierten Mischung aus Clownerie und ernster Mahnung, lustvollem Spiel und Nachdenklichkeit.
Und immer geht es ihm um Menschlichkeit, ob er von seinen „merkwürdigen Träumen“ berichtet, voller absonderlicher Phantasien oder auch voll Trauer um die abgetriebenen Kinder oder die ermordeten Väter einstigen Naziterrors, oder ob er voll Zärtlichkeit und spöttischer Ironie Telefongespräche führt mit seinem Kind und seinen Eltern, ob er aus seinem imaginären Tagebuch liest, das er „schon als Baby zu schreiben begann“ („als Opas Schreibmaschine noch mit Bleistift funktionierte“), oder ob er seine Lieder singt (viele neue), mit dieser Stimme und dieser Musik, in der die Seele baden kann.
Es sind Lieder, in denen vor allem die Sehnsuchtsträume nach Liebe und die Trauer schmerzlicher Enttäuschungen artikuliert werden, leise und anrührend, in ungemein einfühlsamen und packenden Kompositionen und Arrangements, gespielt von seinen großartigen musikalischen Begleitern seit vielen Jahren: Erik van der Wurff (Klavier und Synthesizer) und Nard Reijnders (Sax, Klarinette, Akkordeon).

Bei allem gesellschaftlichen und politischen Engagement will Herman van Veen auch einfach „einen grandiosen Abend“ haben, und den gestaltet er - unterstützt von einer, trotz anfänglicher Mikrophonpanne, Zuverlässig-effektiven Ton- und Bühnentechnik: Da wird mit kindlichem Spaß und viel magischem Konfetti „gezaubert“, da gibt es kleine sur-realistisch-absurde, theatralische Inszenierungen und verrückte Witze.
Die Imitation eines Kuckucks-Rufs wird zur karikierten, sportiven Höchstleistung, und aus einem Echoeffekt entwickelt sich ein hinreißendes Madrigal. Den Ausflug ins amerikanische Entertainment mit „My Way“ und dem Rock-’n’-Roll-Titel „Sweet Home, Chicago“ absolviert der Holländer parodistisch als Marionette an Gummifäden, um dann das Publikum selbst zur Marionette an seinen Applaus dirigierenden Händen werden zu lassen.

Doch den kaum enden wollenden Beifall am Schluß des ersten Osnabrücker Abends brauchte Herman van Veen nicht zu dirigieren - er kam von Herzen, wie die Kunst dieses Sängers, Gauklers und Poeten. Rainer Wilde



Reiner Wilde