Abendzeitung Muenchen
Johannes Härtel

Kreativität gegen Gewalt

4. Marz 1993

Die AZ sprach mit dem holländischen Entertainer Herman van Veen

Der querträumende Clown mit dem zärtlichen Gefühl und dem großen Staunen für die kleinen Dinge, die die Welt bewegen, hält auch nach mehr als zwanzig Jahren an seiner Überzeugung fest. Mitten in seiner über eineinhalb] ähri-gen Mammut-Tournee durch ganz Europa erscheint Ende dieses Monats bei Polydor die Platte (die wievielte über 50 weiß er selber nicht) mit den eben erst Konzert-erprobten Liedern aus den Federn des kongenialen Texters Thomas Woitkewitsch und des geistig Verwandten Rock-Poeten Heinz Rudolf Kunze. Der Plattentitel beschreibt kurz und bündig die nach wie vor unerschütterlich positive Lebenseinstellung des unerschöpflichen Entertainers aus Holland: „Ja“. Wir sprachen mit Herman van Veen.


Eine Tournee als verkappte Werbeveranstaltung fürs neue Plattenprodukt kommt für Herman van Veen nicht in Frage: „Die Lieder müssen sich erst einmal vor Publikum beweisen, das kann ich nur im Saal feststellen.“ Es sind eben die unterschiedlichen Reaktionen, aber auch die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Strömungen, die er zur Weiterentwicklung des Programms braucht.
Mit dem Gespür des Utopisten und aus der Perspektive des Ausländers beobachtet der Holländer, was sich derzeit in Deutschland bemerkbar macht: „Als Gast in diesem Land hab ich ab und zu die Neigung, den Leuten zu erklären, daß die Bilder von extremistischen Dingen nicht nur in Deutschland einen Schock auslösen.
Sie sind peinlich für alle Menschen, die Demokratie versucht haben. Das sind Bilder, von denen wir dachten, daß wir sie los sind. Und wenn ich diese KZ-Fotos aus Jugoslawien anschaue, kann ich verstehen, wenn sich vor allem ältere Menschen eingestehen müssen:
Es passiert einfach -und warum hat sich nichts getan. Es sollte unsere kollektive Aufgabe sein, daß solche Fotos nicht möglich sind.“

Die Interessen der Kinder

Der Vater der TV-Zeichen-trick-Serie über die Ente Jodokus Kwak und Produzent unzähliger Kindersendungen („in meinen Serien ist noch nie jemand gestorben“) hält die via Bildschirm geförderte Gewöhnung an Grausamkeiten für j ein Grundübel: „Wie soll ein Kind lernen, mit Gewalt umzu- ' gehen, wenn es auf 24 Kanälen mit Brutalität gefüttert wird? Es gibt doch kaum mehr etwas Unaggressives zu sehen. Aber die Gesellschaft ist nur ein Spiegel von dem, was dargestellt wird.“

Der gelernte Lehrer („ich war nach Meinung meiner Vorgesetzten zu schlecht in diesem Beruf, weil die Kinder bei mir im Unterricht immer zu viel Spaß hatten“) schreibt vor allem auch dem Schulsystem Mitverantwortung für Fehlentwicklungen zu: „Es wird zu viel nach den-Interessen der Lehrbücher gefragt und nicht nach den Interessen der Kinder. Beispielsweise ist es kein Thema im Biologieunterricht, wie man ein Kind kriegt, aber mit welch kompliziertem Verdauungsapparat ein Schaf das Gras verarbeitet, wird wichtig genommen. Es wird gefragt, wieviel fünf und fünf Tomaten sind, ohne zu wissen, wie schön rot sie sind. Die kreativen Fächer spielen in der Schule leider keine Rolle - mit dem Ergebnis: Wir lernen, daß Vielseitigkeit unpraktisch ist.“

Seinen politischen Durchblick leitet der Liedermacher oft auf ironische Umwege - so beispielsweise in der melancholisch anmutenden Mafia-Familienballade „Cosa Nostra“ mit der Anfangszeile: „Jetzt, da Chicago den Schlaf der Gerechten schläft... Herman van Veen: „Gerade haben die Leute in Amerika gewählt, das Schachspiel ist wieder gespielt.
Und wir wissen doch jetzt erst, wer Kennedy war, an den wir wie an einen Erneuerer glaubten. Mit welchen Mitteln er gewonnen hat, das war Chicago!“



Johannes Härtel