Osnabrücker Zeitung
Thomas Kriegisch

"Das ist die Ruhe vor dem Sturm"

4 feb 1982

Zweimal kam der niederländische Entertainer Herman van Veen während seiner letzten Deutschland-Tournee nach Osnabrück - zweimal spielte und sang er vor über 2000 Menschen. Nach seinem Wiederholungskonzert Anfang dieses Jahres gab er für die Neue Osnabrücker Zeitung ein Interview. Der "Lange mit den sanften Tönen" äußerte sich unter anderem zur gegenwärtigen Friedensbewegung, zu seinem sozialen Engagement in der Dritten Welt, zu seiner individuellen Art der Unterhaltung, und er schilderte seine Eindrücke von einer Tournee mit besonders stillen Konzertbesuchern: "Ich glaube, das ist die Ruhe vor dem Sturm."


Herman, du singst auf der Bühne von deinen Ängsten und Hoffnungen - wie stehst du zur gegenwärtigen Friedensbewegung und zum atomaren Rüstungswettlauf?
van Veen: Ich glaube, die einzige Chance, die wir als Menschen haben, ist das positive, kollektive Bewußtsein. Nur durch Initiativen wie die Friedensbewegung gibt es eine Möglichkeit, dieses Wahnsinnsrüsten zu überleben. Auf der einen Seite werden Milliarden von Mark jährlich für die Bewaffnung verschlungen und sind rund 20 Prozent der Wissenschaftler damit beschäftigt. Auf der anderen Seite sterben täglich zwischen 40 000 und 50 000 Kinder in der Dritten Welt an Hunger; nach meinem Gefühl ist jetzt schon Krieg, er sieht nur anders aus als damals. Es müssen noch mehr Menschen auf die Straße gehen, es sind noch zu wenige. Es können nicht genug sein.

Aggressivität

Du bist ein unbequemer Unterhalter, du vermittelst als ernster Poet und Clown deine Empfindsamkeit für Ungerechtigkeit und Heuchelei, sagst mit sanften Tönen was dir nicht paßt, hast ein zärtliches Gefühl für die Schwchen und Stillen. Wäre es nicht manchmal effektiver, aggressiv seine Meinung zu sagen?
van Veen: Wenn ich aggressiv bin, wirkt das überhaupt nicht. Weißt du, wenn man Aggressivität gibt, dann kommt sie von den Menschen zurück, Aggressivität trifft dich selber. Ich sehe, was um mich herum passiert und versuche, es auf meine Weise zu erklären. Du mußt auf eine Ebene kommen, um mit den Menschen reden zu können.
Agressivität ist eine zu einfache Lösung, damit überschreit man das Problem. Man muß mit Ruhe und Liebe versuchen, verstanden zu werden. Wenn ich meine eigenen Probleme zeige, mache ich die Menschen im Theater weniger einsam; ich zeige ganz einfach meinen eigenen Mist und sie sehen: ach, ich bin nicht der Einzige, der im Dunklen Angst hat.
Ich kann mit einem Manifest auf die Bühne gehen und Friede schreien, aber ich mache es eben nur mit zwei Fingern, und das erklärt einfach alles. Und was ich dir zum Frieden noch sagen wollte, das große Problem ist, daß die sogenannte Masse so ungeheuer passiv ist. Sie wird mißbraucht durch Menschen, die begreifen, daß die Passivität funktionell ist für ihr Ziel. Das ist das System. Was ich versuche, ist zu erklären, daß die Kraft jedes einzelnen größer ist als er denkt. Schau, ich war Herman Nobody, aber ich habe etwas getan, daß man mich hört. Und das ist für jeden in seinem Kreis möglich. Mit der Friedensbewegung ist zum ersten Male in unserer Geschichte ein positives kollektives Bewußtsein ein bißchen verwirklicht. Ich glaube Christus hat es so gemeint, wenn dieses Bewußtsein einsetzt, haben wir es zum erstenmal auf dieser Welt mit Zivilisation zu tun. Es ist die einzige Zukunft. Ich rede hier nicht von Kommunismus oder Sozialismus, es ist die einzige Zukunft, daß die Menschen zusammen für etwas sind.

Dritte Welt

Herman, 1977 hast du die Stiftung Colombin, ein Entwicklungshilfeprojekt für Kinder in der Dritten Welt, gegründet. Was wurde bisher erreicht?
van Veen: Wir haben mehrere Aktionen durchgeführt, Informationen herausgegeben, Filme gedreht, Geld gesammelt. Zwei Jahre lang wurden Hilfsgü-, ter zur ersten Selbstversorgung, wie medizinisches Material und Apparaturen für die Erste Hilfe, in die Dritte Welt geliefert. Jetzt wird ein Programm in Tongo/Manila geplant, wo wir versuchen, 1500 Frauen Arbeit zu geben, damit sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Wir wollen den Menschen in Tongo eine Lebensbasis schaffen; nur so können sie ihre Probleme alleine lösen. Sie müssen lernen, sich selbst zu helfen.

Wo kann und muß deiner Meinung nach von uns Europäern etwas für die Dritte Welt getan werden?
van Veen: Wenn das, was wir für die Aufrüstung ausgeben, in die Dritte Welt gehen würde, dann wären schon wahnsinnig viele Probleme gelöst. Außerdem glaube ich, daß man in seinem eigenen kleinen Kreis versuchen muß, anders zu denken; daß man gelernt haben muß, selber um Hilfe zu beten, bevor man anderen Hilfe geben kann. Das ist alles keine reine Geldsache, sondern auch eine Sache der inneren Einstellung und des Bewußtseins.

Fernsehen

Herman, wird es nach deiner Kinderserie "Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen" neue Produktionen für das deutsche Fernsehen geben?
van Veen: Vielleicht, wir haben neue Serien in Holland bereits gemacht, aber es sieht nicht gut aus. Damals, 1979, gab es nur Schwarzweiß-Reaktionen. In Deutschland wie in den Niederlanden bewertet man die Serien nach der Quantität, also den Einschaltquoten. Bestimmte Zahlen müssen eben erreicht werden, ehe man wieder so etwas ausstrahlt. Die seltsamen Abenteuer waren sehr phantasievolle Serien, eben nicht normal, und man versuchte, sie nur aus der Sicht der Erwachsenen zu analysieren. Ich selber arbeite abwechselnd ein Jahr für Kinder und ein Jahr für Erwachsene, so wie jetzt, auf meiner Tournee. Es passiert leider viel zu wenig, daß Künstler mit einem gewissen Namen und Können etwas für Kinder tun. Das ist wirklich schade - ich mache es eben gerne.

Erste Bilanz

Kannst du als Künstler jetzt schon eine Bilanz deiner Deutschland-Tournee ziehen.
van Veen: Ja. Es war zum erstenmal in meinem Leben, daß während der Konzerte unter den Menschen im Theater solch eine Stille herrschte: so still, als ob niemand da gewesen wäre.

Wie erklärst du dir das?

van Veen: Die Konzentration und das gegenseitige Suchen ist wahnsinnig. Die sind gekommen, um etwas zu hören und wissen doch nicht genau, was sie nun eigentlich hören wollen. Das ist mit mir genau dasselbe.

Siehst du Zusammenhänge mit der allgemeinen politischen Lage?
van Veen: Ja, bestimmt. Ich glaube, das ist die Ruhe vor dem Sturm - entweder das Licht kommt oder der große Knall. Jeder Mensch wird sich jetzt darüber bewußt, daß unser Denken mit der nuklearen Entwicklung die größte Dekadenz erreicht hat. Die Menschen sitzen da und fragen, was sie tun können. Und ich sage, wir können nur ganz vorsichtig abbauen. Und das ist nicht einfach. Der Raketenberg fängt schon an, selber zu denken und sagt vielleicht morgen: Ich habe jetzt Lust, mich mal hören zu lassen.



Thomas Kriegisch