Neue Presse
Suzanne Börner

Zu Gast in Laatzen: Herman van Veen

3. November 1992

Ein Entertainer? Das klare Nein kommt nach kurzem Zögern. Nein, ein Entertainer sei er nicht. Das Wort mag er nicht. So hat ihn wohl eine Welt genannt, die jedem ihrer Kinder einen Namen gibt. Herman van Veen hat noch mehr Namen bekommen: ein Clown, Sänger, Geiger, Schauspieler, Tänzer, ein Pantomime und Parodist, ein Spaßmacher und Moralist. Einer, dem die Welt nicht nur aus dem Holz der Bühnenbretter ist, der darauf spielerisch aus-einem großen Talentrepertoire zaubern kann, der darauf seit 25 Jahren zu Hause ist, so einer macht es der Welt schon schwer, wenn sie ihm einen Namen geben will.


Vielleicht ist er ganz einfach ein Geschichtenerzähler. Jedenfalls erzählt er Geschichten in seinen Texten, Tönen und Filmen gewordenen Gedanken. In seinen Geschichten über große und kleine Menschen und Welten beherrscht er die Kunst, jenseits von Kitsch und Klischee die Gefühle der Zuhörer anzurühren. Vielleicht, weil er einfach nur seine Gefühle erzählt, sie auf ungewöhnliche Art darstellt.

„Ich bewege Luft“, sagt Herman van Veen auf die Frage, wie er denn das nennen würde, was er tut. „Luft ist nicht nichts“, setzt er seinem erstaunten Gegenüber auseinander. In holländisch, erklärt er, bedeute es, daß etwas Luft hat. Luft sei Raum, Bewegung, Öffnung und Trennung zugleich, sei vor allem Energie. Etwas verändern könne er in dieser Welt nicht, sagt er bescheiden. Vielleicht für die zwei, drei Stunden während des Konzerts. Aber dann ist die Vorführung aus und alle gehen wieder nach Hause.

Etwas bewegen will der 47jährige Holländer dennoch. „Wir haben akzeptiert, daß der Mensch schlecht ist“, sagt da einer mit einer sehr traurigen Stimme und ergänzt nach einer mehr als sekundenlangen Gedankenpause, „und daran glaube ich nicht“. Sachlich, aber nicht ohne einen leisen Unterton, der irgendwo ständig ein ganz kleines Augenzwinkern zu verstekken scheint, erzählt einer von seinem Lebensrezept.

Vernunft herrsche heute, findet van Veen. Alles, was nach Gefühlen rieche, sei heutzutage verdächtig. Es gebe kein Gleichgewicht mehr zwischen Vernunft und Gefühl. Und wenn die Gefühle akzeptiert werden wollen, dann müssen sie benannt werden. „Verstehst Du mich, oder ist das lächerlich, was ich sage“, fragt da jemand, der gesagt hat, er wolle nur „Ohren finden“, für seine Geschichten. Wo läge auch der Sinn im Geschichtenerzählen, wenn die gefundenen Ohren taub, verstopft oder abgestumpft sind? Sein Rezept gegen das Abstumpfen leuchtet ein bißchen durch den Satz, man müsse lernen, keine Angst vor der eigenen Angst zu haben. Darüber, so philophiert van Veen lebenskünstlerisch, vergeht ein Leben. „Und wenn Du es geschafft hast, kommt die Ruhe - der Tod.“

Die Ruhe fürs Interview geht zur Neige; es gilt, sich auf das abendliche Konzert zu konzentrieren. Das ist ausverkauft, weil das Publikum seine Geschichten hören möchte. Bruno Bettelheim hatte unrecht: Nicht nur Kinder brauchen Märchen. Die Antwort auf den Entertainer gibt van Veen zum Schluß: „Vielleicht bin ich ein Hofnarr-aber ohne Hof. . . “



Suzanne Börner