Rheinische Post
NORBERT LÄUFER

Show der Gegensätze

3 okt 1985

Neun Vorstellungen hat sich Hermen van Veen in der Düsseldorfer Tonhalle vorgenommen. Solch ein Unternehmen hat es dort noch nie gegeben. Van Veen hat zwar ein großes Publikum, die Frage bleibt aber trotzdem, ob bis zum 11. Oktober jeden'Tag (außer Sonntag und Montag) die Halle voll sein wird. Die Premiere war nicht ganz ausverkauft.


Man kann aber dennoch verstehen, daß er eine ähnlich große Anzahl von ¦Zuhörern nicht mit einem oder zwei Auftritten etwa in der Philipshalle abfertigen wollte. Denn Herman van Veen braucht den engen Kontakt zum Publikum.

Er sucht sich immer wieder direkte Ansprechpartner. Schon zu Beginn kommt er pfeifend aus dem Zuschauerraum mit Koffer, Teddybär und Geige auf die Bühne, um dort zuerst einmal Musik zu machen.
Diese ist in der Show zwar fast immer vorhanden, spielt aber dennoch eine untergeordnete, dienende Rolle. Die vier begleitenden Musiker und er selbst auf der Geige schaffen eine Umgebung, in deren Mittelpunkt die Person, der Schauspieler Hermann van Veen, und die Texte stehen.

In der Musik herrscht das Lyrische vor, wie man es von seinen Schallplatten kennt — deutlich wird das schon allein daran, daß ein Schlagzeuger fehlt und der Percussions-Computer nur ganz selten und sparsam eingesetzt wird.
Sonst ist ihm nichts heilig. Hermann van Veen faßt auch in seinem neuen Tourneeprogramm wieder Themen von Baghwan bis Kirche, von den Russen bis zu den Amerikanern, von. käuflicher Liebe bis zur schwierigsten Zwischenmenschlichkeit an. Da bekommt jeder mal sein Fett weg, da erkennt man sich auch selbst. in seinem Namen so viel Elend geschehen sei. Aber solche Ausrutscher vergißt man schnell bei diesem Programm; denn nach kurzem Übergang — ein wenig Umkleiden, ein paar charakteristische Bewegungen — ist er plötzlich ein ganz anderer.

Gerade mit seinen Bewegungen schafft er es immer sehr schnell, eine Rolle zu typisieren: den tänzelnden Boxer, den schmetternden Tennisspieler, den hin- und herrennenden, von Marschmusik begeisterten kleinen Jungen, den Breakdance-Ar-tisten. Dabei wird er immer mal wieder sehr laut.

Und da kennt er keine Hemmungen: Disco-Musik ist laut, und in Erregung schreit fnan eben — warum also nicht auf der Bühne? Doch sofort stehen leisere Töne dahinter: stumme Verzweiflung, aber auch flüsternde Töne der Liebe.
Man wird als Zuschauer ständig Extremen ausgesetzt: dem Schönen, Lyrischen auf der einen und dem Häßlichen, Aggressiven auf der anderen Seite. Zum Ausspielen der Gegensätze gehört viel Mut, sehr viel Offenheit. Die zeigt er sogar vor großem Publikum.

Wenn er sagt: „Das habe ich immer. In meinen Träumen kriege ich keine Antwort”, dann ist das zwar gespielt, aber eben auch erlebt. Oder wenn er nach der siebten Zugabe um Verständnis bittet, daß er nur noch ein Lied singe, und dann sei endgültig Schluß für heute, weil er — wenigstens ein wenig — mit seinen Kräften haushalten müsse, denn er habe noch 72 Konzerte vor sich, dann ist das grundehrlich.

Versucht man hinter dem Programm eine Aussage zu finden, dann ist es wohl diese Ehrlichkeit, sowohl im privaten als auch im politischen Bereich im Fühlen wie im Denken. Man möchte lachen, aber oft gelingt das eben nicht mehr, weil man sich entlarvt fühlt. Sicher, dabei werden manchmal Probleme auch verkürzt, etwa wenn van Veen die Existenz Gottes leugnet, weil Herman van Veen sagt, was er denkt.


Auch wenn man einzelnen Aussagen nicht immer zustimmen kann, merkt man doch, daß er dahinter steht — und das ist wohl das Wichtigste.



NORBERT LÄUFER