Berliner Zeitung
Birgit Walter

Ich hab’ so viel Hunger gerochen, daß ich positiv denken kann

Der große Clown Herman van Veen prophezeit in seinen Liedern globale Katastrophen, glaubt aber weiter an Utopien

3. April 1993






Ah! sagen die Kritiker und kriegen ihren sanften Blick, wenn Herman van Veen auf die Bühne tritt. Dieser Menschenfreund von der ökologischen Fraktion, der Clown in der zärtlichen Gestalt, der verletzliche Revolutionär, feinnervige Illusionist, Poet und Pazifist - nie wurden für einen Entertainer aus dem Showbusineß so liebevolle Attribute gefunden wie für diesen unterhaltsamen Holländer. Mitunter nennt ihn jemand einen jammerlappigen Langweiler, aber der bleibt auch seinen Konzerten fern, die doch bei allern Scharf- und Hintersinn immer zualler- erst ein rechtes Vergnügen mit einem famosen Sänger, einem geschmeidigen Tänzer und höchst närrischen Clown sind. Und so wird Herman van Veen, wenn überhaupt, nicht etwa sein apokalyptisch-bitter-melancholisches Hadern mit der Welt vorgehalten, sondern allenfalls sein Klamauk, seine Grobheit, der laute Bühnenspaß. Das aber läßt Herman van Veen nicht gelten, wie er unserem Redaktionsmitglied Birgit Walter in einem Gespräch nachdrücklich klarmachte.


Berliner Zeitung: Herr van Veen, Sie machen es sich nicht leicht mit Ihren Auftritten. Jeder Rockstar mietet sich in einer Stadt die größtmögliche Halle, die er füllen kann, fertigt ein paar tausend Besucher an einem Abend ab. Sie kommen lieber an zehn Abenden hintereinander. JJabei funktionieren auch bei Ihrer leisen Kunst große Hallen ganz außerordentlich, wie die 8 000 Zuschauer in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle 1989 gezeigt haben.
Herman van Veen: Das war eine Ausnahme damals, eine Notvariante, um möglichst viele Zuschauer zu erreichen. Es gab nur den einen Termin für mich in Ost-Berlin und die Nachfrage war ja ungeheuer. Außerdem wollte ich jede Gelegenheit nutzen, in der DDR zu spielen. Aber es ist keinesfalls mein Bestreben, in so große Hallen zu gehen. Das ist unmenschlich, unpersönlich, es hat mit Macht über andere zu tun und das ist nichts für mich. Ich spiele am liebsten in so einem altmodischen Theater, in dem es nur 800 Plätze gibt.

Aber Sie gehen doch sehr spielerisch mit dieser Form von Macht um, Sie dirigieren und manipulieren zum Beispiel den Applaus des Publikums,, ich fand das sehr komisch.
Sicher, in einem kleinen Saal ist das ein Spiel. Aber in einem großen Raum kann die Situation schnell außer Kontrolle geraten. Da tut sich was, da hängt so unheimlich viel Energie in der Luft, und wenn das Konzert zu Ende geht, ist es noch lange nicht vorbei. Leute aus dem Pop-Geschäft, die vor 25 000 Leuten spielen, haben es mit einer so gewaltigen Spannung zu tun, die sie gar nicht kontrollieren können, die läßt sich auch nicht so einfach abbauen. Man steht dort als ganz kleiner Mensch vor dieser Masse Leute, da gibt es kein Gleichgewicht mehr, das ist nicht normal

„Wir treffen uns nächstes Jahr in Paris, wer nicht kommt, zahlt 100 Mark!“ haben Sie im Herbst 1989 den Menschen im Berliner Osten zugerufen, vier Wochen bevor die Mauer fiel. Haben Sie auch das schnelle Ende dieses Staates das sich Ihre Zuschauer damals mit Sicherheit noch nicht vorstellen konnten?
Art Pufferzone zwischen den Systemen. Polen ist immer Polen geblieben und Ungarn immer Ungarn, die DDR aber war ein Bedenksel, wie wir in Holland sagen. Wie ein schnell wachsendes Krebsgeschwür, das auch einen Staat umbringen kann. Ich hatte damals das deutliche Gefühl eines bevorstehenden Bürgerkrieges, eines Krieges zwischen Frustration und Organisation, das bevorstehende Ende lag in der Luft, man konnte es riechen.

„Die Leute dort kennen meine Texte besser als ich und auch mehr Bedeutungen. Es ist erstaunlich, wie viel sie von wahnsinnig wenig wissen und wie wenig wir von wahnsinnig viel wissen“, haben Sie mal über Ihr Publikum in der DDR gesagt, vor dem Sie nach eigener Auskunft besonders gern aufgetreten sind. Sie waren jetzt in Chemnitz und Dresden, wie ist es heute?
Es hat sich nicht so viel geändert. Es ist, als wenn die Energie der Mauer noch da ist, so gigantisch sind die Frustrationen. Hier sind die sozialen Werte plattgewalzt worden, mit denen die Menschen verwurzelt waren. Ich glaube an soziale Werte, bin auch überzeugt, daß der Sozialismus nicht tot ist. In Holland jedenfalls wird seine Zeit kommen, da bin ich ganz sicher.

Derzeit ist jede Form von Sozialismus erstmal tief diskreditiert, die herrschende Wirtschaftsordnung hat ihren einzigen Gegenpol verloren. Der Kapitalismus konnte auf ganzer Front siegen, obwohl er kein Überlebensmodell für die Welt bietet.

Die Folge ist eine wahnsinnig gefährliche Apathie - eine internationale Erscheinung. Die Menschen gehen nicht mehr wählen, die Linken sind frustriert, die Rechten bieten die scheinbar einfachen Lösungen. Dabei ignorieren sie bei ihrem engen Horizont konsequent die Probleme der Welt.
In jeder Sekunde werden heute zwei Babys geboren. Dafür ist kein Platz, kein Raum, kein Geld. Was in zwanzig Jahren an Menschenmassen auf uns zukommt, wird keiner verkraften können. Unsere Kinder stehen dann vor unlösbaren Problemen. Die drohende globale Katastrophe ist unvermeidlich und wird kollektiv verharmlost. Das ganze verlogene System spielt mit - Fernsehen, Zeitungen, Politik, alles, weil es sich ausschließlich an Verkauf und Gewinn orientiert.

Jeder läßt nur gelten, was er versteht und ihm genehm ist. Früher habe ich in der DDR stundenlang mit der Presse geplaudert und konnte dann in den Blättern keinen meiner Gedanken wiederfinden. Sag’ jetzt nicht, daß das heute völlig anders ist! Heute bestimmt die Werbung, was in der Zeitung steht. Denn ohne Werbung gäb’s keine Zeitung und keinen Gewinn.
In der Musikbranche ist ein junger' Künstler heute gestorben, bevor jemand seine Stimme ge- hört hat - wenn er nicht bezahlen kann. Und in der Politik geht es noch um andere Beträge.
Ich habe gerade mit dem Bürgermeister einer wichtigen deutschen Stadt ge-snrochen. der verhandelt regelmäßig mit dem Moskouer Burgemeister . Aber nicht ,ohne das jemand von der Maffia dabei ist. Im Osten Deutschlands werden Milliarden weißgewaschen ... Es ist von allem da, Hunger in der Welt brauchte es nicht zu geben. Das, was da ist, müßte nur verteilt werden.

Wie stellen Sie sich das vor?
Natürlich ist das eine Utopie. Aber unsere einzige Alternative zur Vernichtung der Welt wäre, unser gesamtes Haben und Wissen mondial miteinander zu teilen, Verantwortung für uns selbst zu übernehmen, nicht ständig so zu tun, als wäre der Zustand der Welt nicht so schlimm. Solange wir davon ausgehen, daß unser System das einzig gültige ist, nicht den geistigen Reichtum von Entwicklungsländern wahrnehmen, rennen wir in die Katastrophe.

Ich erkenne nicht, wie Sie Ihre Ideen vom Teilen durchsetzen wollen. Das brauchte eine wie auch immer geartete ökologische Diktatur.
Das Wort Diktatur gefällt mir nicht ...

Mir auch nicht, alles andere aber sind nichts als schöne Worte.
Ein Ausweg könnten sehr starke Vereinte Nationen sein ...

Nur, wenn sie mit viel Macht ausgestattet wären ...

Ja, mit Macht. Der Westen sieht aber selbst die UNO schon als Bedrohung. Er ist doch so stolz auf das, was er erworben hat, er will das nicht verlieren, darum blockt er ab. Denn in die UNO gehören natürlich alle Entwicklungsländer gleichberechtigt, also auch Flu-Flutziland und Bru-Brusiland, und wie sie alle heißen, das ist doch ein riesiges Potential. In seiner beispiellosen Arroganz gegenüber den einfachen Dingen, gegenüber dem Reichtum der Naturvölker hat der Westen davor Angst. Dabei hat uns ein Eskimo genausoviel zu erzählen wie wir ihm. Wir aber sind taub und blind und denken, die wahre Zivilisation sind Kaugummis und Hamburger. Ein großes Mißverständnis.

Ihre Lieder sind ein so heiterer Appell an das Gute im Menschen, nur habe ich das Gefühl, daß auch so etwas immer weniger gehört wird.
Entschuldige mal, mein Ziel ist es nicht, die Welt zu verändern. Ich bin kein Prophet, kein Politiker, nicht mal ein Moralist, ich mache Spaß, Theater, Unsinn. Das ist schon, schrecklich, grausam,phantastisch, so, wie ich bin. Ich schmeiß’ das ins Publikum hinein, und wenn es was damit anfangen kann, schör,. Manchmal wünscht man sich, Ziele zu vermitteln, aber das geht nicht, da ist schqp viel schief gelaufen bei Leuten, die sich das vorgenommen haben. Für mich ist es wichtig, solche Lieder zu formulieren, das ist eine Linie mit meinem Gewissen, mit dem, was ich sonst mache - Entwicklungshilfe, Hilfe für Behinderte, Unicef.

Wie unterscheidet sich Ihr Leben alt Menschenfreund von dem des sogenannten Normalbürgers ?
Ich habe natürlich eine besondere Position. Mir geht es als Künstler nicht schlecht. Aller-diigs habe ich meine, Entscheidungen getroffen, bevor ich als Küstler berühmt wurde. Ich bin schon mit 18 als Freiwilliger zur Unicef gegangen. Ich habe mein Lein immer quotiert. Die eine Hälfte der Zeit spendiere ich meine Karriere, die andere konkreten Projekten: wissenschaftliche Untersuchungen, Krankenhäusern, Hilfe für Entwicklungsländer. Ich tue, was ich tun kann, das ist schon echt viel, glaub mir. Man kann auch ohne Geld viel tun, mit Kraft, Energie und Liebe.

Kraft, Energie, Persönlichkeit und vor allem Stärke - sind das Eigenschaften, die für einen Bühnenprofi wie Sie Voraussetzung sind?
Das denkst Du! Du siehst mich nicht nachts. Du gehst davon aus, daß da ein starker Mann auf der Bühne steht, aber das bin ich nur, weil ich es nicht bin. In Wahrheit bin ich einer der unsichersten Menschen, die Du Dir vorstellen kannst, sonst könnte ich das auf der Bühne nicht singen. Alles, was ich mache, hat mit Unterdrückung und Furcht zu tun, weil ich das kenne. Aber ich habe so viel Hunger gerochen, so viele Tote gesehen, so viele Entwick-1 lungsländer bereist, ich bin mir unserer Scheiße so sicher, daß ich ein positives Lied singen kann.

Diese Unsicherheit spielen Sie auf der Bühne gut weg. Es ist ja eine harte Arbeit, das Publikum so zum Lachen zu bringen, allerdings finde ich Ihre Späße manchmal recht derb.
Du meinst, wenn es zum Beispiel um Tampons geht. Was ist denn dabei? Die Periode ist eine wichtige Sache, nur, daß die ständig in die Hose geht und Mutti das immer mit sich allein ausmacht. Ich bringe Tabu-Themen auf die Bühne, ich mache das besprechbar.

Seit einem Vierteljahr hundert setzen Sie sich in der Showbranche durch. Wie hart erleben Sie das Geschäft?
Was verstehst Du unter „durchsetzen“? Ich habe es noch nie geschafft, im Fernsehen ein unzensiertes Konzert zu kriegen, in all den Jahren nicht eins, nicht in Deutschland, nicht in Holland, nirgendwo.

Was wird denn da zensiert?
Ich bin unbequem! Denkst Du, daß ich im Fernsehen ein Lied wie „Foto“ singen kann oder „Grand Hotel Deutschland“? „Fidelio“, ja. „Fliegender Holländer“, ja. Sting, Bob Dylan, Avantgarde, ja, van Veen - nein. Ich bin zu unbequem, zu gefühlsbetont, zu leise, zu grob, zu hart, was weiß ich. Das läßt sich nicht verkaufen.

In Ihrem jüngsten Konzert stellen Sie offenbar bewußt den Spaß, -das Clowneske, den Klamauk in den Vordergrund. Mir geht es manchmal zu schnell. Nach dem Fällen des Regenwaldbaumes zum Beispiel lassen Sie dem Zuschauer kaum Zeit zum Nachdenken über die Katastrophe.
Wie bitte? Danach singe ich „My Way“ von Frank Sinatra, einem Mann mit respektierter Karriere, von Sinatra, einer der größten Mafia-Stützen der Welt. Natürlich ist das eine Parodie, aber was für eine. Der letzte Baum ist gefällt, der letzte Vogel ausgerottet, die letzte Frau umgebracht und ich singe vom nahen Ende - „My Way“. Dem Killer wird Erfolg bescheinigt. Das ist eine der härtesten Sachen, die ich je gemacht habe.

Diese Assoziation hat sich mir nicht hergestellt, anderen Zuschauern und Kritikern allerdings auch nicht.
Natürlich wird da viel gelacht. Aber es gibt drei Leute im Saal, denen es vergeht.

Wenn das genug ist. Wieviel Spielraum lassen Sie sich für Improvisationen ?
Jeden. Du warst am Freitag abend da, zur Premiere, nicht? Den Abend kannst Du vergessen. An so einem Abend sitzen da irgendwelche einflußreichen Leute und Journalisten. Die klatschen sowieso nicht. Die schreiben. Freitag waren 300 Leute im Konzert, die nichts für ihre Karte bezahlt hatten. Das war nicht gerade sehr kommunikativ mit denen.

Wieso, es war doch eine Wahnsinnsstimmung, sieben Zugaben oder noch mehr.
Aber Du hättest gestern da sein sollen. Da habe ich um Mitternacht noch auf der Bühne gestanden und 40 Minuten ein Extra-Konzert gegeben, weil es sich so aufgebaut hat. Mein Programm wird jeden Abend total anders, wie auch die Stimmung im Saal. Heute bringe ich sicher sieben Stücke, die ich Freitag nicht gesungen habe.

Was macht Sie froh, wenn Sie auf Ihre 25jährige Karriere zurückblicken, in der allein 50 Platten in vier Sprachen entstanden sind?
Mit dem, was die Platten gebracht haben, konnte ich viel tun. Ich lebe in einer Gruppe von 15 Personen, und es ist echt toll, wenn ich mir ansehe, was wir schon geleistet haben an sozialer Arbeit. Stolz bin ich auf meine Kinderbücher und -filme, denn in denen wird nicht ein einziges Mal geschossen, nicht einmal wird dort Gewalt angewandt. Und meine Ente Alfred Jodocus Kwak ist trotzdem ein sehr erfolgreiches Tier.

Welche Visionen von unserer Welt vermitteln Sie Ihren vier Kindern?
Ich belaste sie nicht mit den düsteren, denn irgendwo sehe ich immer noch eine riesige Chance. Bis jetzt haben wir die Möglichkeit, gewaltige Veränderungen zu kreieren. Noch geht die Sonne alle Tage auf, und ob wir das in Zukunft noch erleben, liegt allein an uns. Du entscheidest, ob du heute Abend mit einem Deodorant sprühen mußt, ob du morgen in die Armee gehst, ob du diese Rechtsidioten wählst oder die anderen.



Birgit Walter