Windsheimer Zeitung
STEFFEN RADLMAIER

Triumph des Clowns

"Signale" von und mit Herman van Veen in der Nürnberger Meistersingerhalle

3 feb 1984

Das Orchester stimmt die Instrumente. Das Publikum räuspert sich erwartungsvoll. Der Vorhang geht auf - aber auf der Bühne gibt es keine Musiker, die Töne kommen vom Band. Nur ein riesiger weißer Luftballon liegt herum. Und plötzlich steht er da im Publikum, den Geigenkasten umgehängt, als sei er nie fortgewesen: The one and only Herman van Veen.


Er nimmt eine Zeitung zur Hand, die auch das buntgemischte Publikum in der ausverkauften Nürnberger Meistersingerhalle auf den Stühlen vorfand, und liest die Schlagzeile: "Die Bombe fällt nie." Diese Nachricht bringt die Welt unverhofft aus dem Gleichgewicht des Schreckens, und Herman van Veen muß sich in dem gleichnamigen Song wieder mit Zukunftsplänen herumschlagen. Von wegen: Nach uns die Sintflut. No Future? Pustekuchen. Es wird auf Teufe) komm raus weitergelebt. Der Weltuntergang wird wegen des schlechten Wetters verschoben. Was nu?

Kaum hat man sich mit dem Gedanken angefreundet, daß wir um den kollektiven Selbstmord doch noch mal herumkommen, wirft der poetische Fragensteller und philosophische Fallenleger die banale Frage "Warum gerade ich" auf und singt von einem jungen Menschen, der aus heiterem Himmel mit dem Tod konfrontiert wird. Die Einsicht in die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit menschlicher Existenz bewirkt bei diesem humoristischen Humanisten eine doppelte Sicht der Dinge: Sie sind todernst - und gleichzeitig zum Totlachen.

Auch in seinem unvergleichbaren neuen Programm mit dem Titel "Signale" taucht der holländische Harlekin sein begeistertes Publikum wieder in ein Wechselbad von Gefühlen und Gedanken, von Kitsch und Klamauk,Perfektion und Poesie. Die einfache, aber explosive Bilanz: Die Bombe sind wir.

Zynismus ist dem engagierten Entertainer, der vor dem lieben Gott nur deswegen die Hosen runterläßt, damit der überhaupt mal reagiert, nach wie vor ein Fremdwort. Melancholie schleicht sich schon eher in das völlig überarbeitete phantastische Programm, das politisch eindeutiger ist als früher und inklusive endloser Zugaben weit über drei Stunden dauert.
Herman van Veen, der keine fertigen Antworten verteilt, sondern immer noch auf der Suche nach der richtigen Frage ist, kann es sich leisten, eine Hommage an Edith Piaf neben einen Song für politische Gefangene zu stellen, ohne daß es peinlich wird.

Auch die Band, die jetzt aus vier Musikern besteht (wie immer dabei: Erik van der Wurff), ist so vielseitig und inspiriert wie nie. Die Show ist eine atemberaubende Abfolge von Sketchen, Songs und Mini-Dramen. Nicht ganz konsequent endet der - für mich intensivere - erste Teil doch noch mit einer Explosion: Der Clown, versucht vergeblich sich im Kinderwagen zu verstecken.

Spielerisch und spontan schlüpft der Verwandlungskünstler von einer Rolle in die nächste. Beiläufig erzählt er, daß ihm auf dem Flug nach Nürnberg unter lauter Spielwarenproduzenten die rettende Alternative zu den herrschenden Machtsystemen eingefallen ist - das Lego-System. Und zu Dürer fällt ihm ein: "Ein netter Mann. Versuchte alles zu begreifen. Dabei gibt es nichts zu begreifen. Das ist die Tragödie."

Im absurden Welttheater spielt der Clown eine Sonderrolle: Seine Späße sind wie das Pfeifen im dunklen Keller.
Er weiß: Angst essen Seele auf. Dagegen rennt Herman van Veen in Stöckelschuhen an.

Nie war er so wertvoll wie heute!



STEFFEN RADLMAIER