NZ Nürnberger Zeitung
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Zwischen Melancholie und Poesie: Herman van Veen in der Meistersingerhalle

Das Lachen beim Scheitern

3 feb 1984

Wenn ein Orchester seine Instrumente stimmt, deutet das den großen Auftritt an. Der Maestro wird sich zeigen oder der Star, beifallumtost. Als aber der Vorhang aufgeht wippt nur ein großer weißer Ballon auf der Bühne; die Instrumente stehen leer. Der Star kommt leise durch das Publikum, einen Zylinder auf dem Kopf, eine Geige in der Hand. Der Beifall wird sehr laut als er über die Rampe klettert denn er hat eine Gemeinde. Der Ballon macht ihm Platz, schwebt davon. Der Star nimmt eine Zeitung, die auch überall im Zuschauerraum ausliegt liest enttäuscht die riesige Schlagzeile, singt sie dann gleich zu sanfter Melodie: "Die Bombe fällt nie." Und singt weiter: "Hat das nicht schlimme Konsequenzen? / Die Zukunft hatte bislang Grenzen, / doch wenn man wieder planen kann, / was fängt man mit der Zukunft an?"


Das ist der Auftritt Herman van Veens in der Meistersingerhalle. Er wird umjubelt denn die Elemente, aus denen er sich zusammenfügt sind beliebt: Melancholie und Poesie. Der Luftballon steht für beide. Er ist ohne Sinn schön, und er ist gefährdet wegen seiner dünnen Haut; und gerade dann, wenn man ihn ganz festhalten möchte, kann er davonfliegen. Wie die Liebe, wie die Hoffnung, wie das Leben.

Die Wörter Poesie und Melancholie, die so klar scheinen in unseren Köpfen, haben identische Wurzeln. Sie entstammen der resignativen Phase der Rebellion des Bürgertums gegen den Adel. Damals setzten die Dichter die Poesie von Kunstwerken gegen die Prosa der Verhältnisse. Damals ergab sich die neue Klasse, deren Taten von den Verhältnissen gehindert wurden, der Melancholie, die Wissenschaftler als Handlungshemmung definieren. Objektiv stehen die beiden so schön klingenden Begriffe für Rückzugsverhalten. Wenn ein Künstler wie Herman van Veen sie marktgängig machen kann auf Platten, in Filmen, bei Gastspielen, dann sagt das was über den Zeitgeist seines Publikums. Der Selbstgenuß der schönen Trauer wird genährt, auch wenn ihn eine Zeile aus dem Bomben-Song in Frage zu stellen scheint: "Wo bleibt die Lust am Untergang?"

Herman van Veen, der sich am liebsten als Clown vorstellt - auch so ein Sinnbild poetischer Melancholie: das Lachen beim Scheitern - war diesmal noch resignativer als sonst, obwohl er scheinbar dagegen ansang und anspielte. Aber seine Lieder, deren alltagssanfte Texte er früher mit verqueren Rhythmen, mit unvollendeten Harmonien, gebrochen hatte, waren nun sehr gefällig komponiert und arrangiert "Warum gerade ich?", diese Frage einer offenbar Todkranken, der man noch Mut zuspricht drückte ebenso auf die Tränendrüsen wie das musikalische Noch-eins-drauf auf Erich Kästners sowieso schon trist-gefaßte "Sachliche Romanze". Die Musik seiner Begleitgruppe Erik van der Wurff, Nard Reijnders, Cees van der Laarse und Chris Lookers wurde durch heftige elektronische Verstärkung übergroß und schwappte breiig in die Emotionen. Mit Beleuchtungseffekten - ohnehin war die Lichtorgel ein Hauptdarsteller - und durchaus genußreichem Rockrhythmus wurde vor der Pause eine Nuklear-Explosion dargestellt wunderschön - und gerade deshalb höchst fragwürdig.

Auch die pantomimischen Zwischenspiele, die van Veen zum Überdruß selbst seiner Anhänger zwischen zu wenige Lieder schob, waren von der schwarzgalligen Art Der Holländer hetzte ein Pandämo- nium vereinsamter Typen über die Bühne, die plötzlich zum Bahnhof der Welt wurde. Zwischen Vaudeville und Beckett verfehlten sie Zuwendung, erlitten Fremdarbeitslosigkeit oder retteten sich ins neuerlich clowneske Spiel mit Ping- Pong-Bällen. Wenn van Veen parodierte - und das kann er; ein Accessoire verändert Gesicht und Erscheinungsbild verblüffend - überzog er meist ein bißchen in die Länge: das chinesische Kauderwelsch, den Jesus-Blues, nur der Transvestit am Ende paßte auf den Punkt Und selbst als er politisch wurde, blieb Herman van Veen mehrdeutig. Die Lieder "Mein Vater wird gesucht" und "Signale" brach er mit kleinen Parodien auf die Aufmarschrituale jeglicher Polit-couleur. Kann er dann das "Du und ich, Hand in Hand" am Schluß des Zugabenteils wirklich ernst gemeint haben.

Er läßt einen kaum an sich ran, der Herman van Veen. Trotzdem sind viele von ihm hautnah fasziniert Fans begeben sich stets der kritischen Distanz.

Der Kritiker hatte keine Mühe, sie zu wahren.



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