Donau Kurier
Michael Schmatloon

Ansichten eines Clowns

Zum Nürnberger Konzert von Herman van Veen

3 feb 1984

Der Poet der Alltäglichkeiten! Das unnachahmliche künstlerische Temperament! Mit derart unverbindlichen "objektivierbaren“ Formulierungen könnte man sich schon aus der Verpflichtung stehlen, etwas Gültiges über Herman van Veen schreiben zu müssen, der auf seiner Mammut-Tour ’84 am Mittwoch abend in der ausverkauften Meistersingerhalle in Nürnberg gastierte Im Fundus gäbe es genügend dümmliche Apostrophierungen: Wahl-verwandter von Woody Allen, zärtlicher Burgerschreck und verträumter Rattenfänger, Philosoph mit existentialisti-schem Gottverständnis, satirischer Conferencier und, und, und ... Alle diese Umschreibungen stimmen und sind doch zu wenig, treffen, und zielen dennoch vorbei.


Natürlich, Herman van Veen ist ein Liedermacher, ein Chansonnier, zuvorderst ein Clown, ein Allround-Künstler. Dennoch gibt es Situationen, gibt es Menschen, bei denen ich das Wort .Künstler" als Beleidigung empfinde, Situationen, da durch übereifriges Rezensentengehabe Wirklichkeiten zur Poesie degradiert werden.

Die Wertmaßstäbe des etablierten Kulturbetriebes verlieren an Herman van Veen wohl ihre Gültigkeit, jedes deskriptive Bemühen, den Abend zu vermitteln, zu objektivieren, wäre völlig unsinnig oder, mit Herman van Veen selbst gesprochen:
„Wenn Du Tränen objektiviertest, wären sie unansehnliche Wassertropfen und somit lächerlich. Wenn Du sie in Wirklichkeit sähest, würdest Du selbst anfangen zu .leinen, und das kann ein Zeitungsmann nicht, das ist gegen seine Berufsethik."

Selbstverständlich könnte ich schreiben, wie zärtlich poesievoll er singen kann, Geige spielt, wie virtuos er seine Clownerien, seine „Ansichten eines Clowns“ vorträgt, schwärmen von einem 38jährigen Holländer, für den diese irrsinnige Trennung von Theorie und Praxis nie bestanden hat und der im Grunde nur eines macht: konsequent und überzeugend seine feinfühlige Menschlichkeit zu prostituieren, die, von keiner Stumpfheit bedroht, im Prinzip das ist, was den Zuhörer in Beschlag nimmt Was also bleibt mir zu sagen nach einem Abend, an dem man (das Wort Applaus wäre zu schwach) nur noch aus Handflächen besteht, als ein unheiliges „Ecce-Homo“.



Michael Schmatloon