Badische Zeitung
MANFRED GILLIG

"Ich hab' ein zärtliches Gefühl"

Spielkind und entrückter Philosoph: Herman van Veen in der Freiburger Stadthalle

2 nov 1981

Herman van Veen gehört zum kleinen, aber feinen Kreis allgemein anerkannter Unterhaltungskünstler. Auf elf Langspielplatten finden sich seine Lieder und Texte, er inszenierte Theaterstücke, komponierte Ballettmusik und schrieb neun Bücher. Sein "Magazin für Kunst, Kultur und Gesellschaft" mit Namen "Harlekijn" erscheint seit Anfang 1980 in sechs europäischen Ländern. Rechtzeitig zur aktuellen Deutschlandtournee gibt's außerdem ein Taschenbuch mit einer Auswahl seiner Texte ("Worauf warten wir?", rororo 4933), und - das fehlte noch - sein erster Kinofilm ("Ich lieb' dich noch") hatte am 23. Oktober in der Berliner Filmbühne am Steinplatz Premiere.


Der 36jährige Holländer wird wegen seiner Talente viel gepriesen und scheint nirgends anzuecken. Haben seine Künste und seine persönliche Integrität darunter gelitten? Auf den ersten Blick scheint es so: Manche seiner neuen Lieder wirken allzu schön und glatt, sind in wohlklingende Harmonien verpackte Appelle an Menschlichkeit, Zärtlichkeit und Einfühlungsvermögen - nur für, sich betrachtet haftet ihnen eine starke Portion Beliebigkeit, manchmal hart am Rand des Kitsches, an. Van Veen kredenzt Sensibilität in bekömmlicher Verpak- kung - vor allem auf seinen Platten.

Das ist auch der allererste Eindruck in der Freiburger Stadthalle, als er - ganz in weiß - beispielsweise von einem Mädchen singt, das nach einer Entziehungskur in die Kälte der erstarrten familiären Situation zurückkehrt ("Nicht allein").

Doch von Anfang an mischt sich in das schön-traurige Bild auch ein Moment der Irritation: Da ist zum Beispiel der einsame Schlagzeuger, der 30 Minuten lang auf der Bühne Spannung aufbaut, bis das Publikum die passive Erwartungshaltung in eigene Aktion umsetzt und mit Nachdruck nach van Veen verlangt.
Daß er nicht nur schöne, sanfte Lieder mit moralischen Appellen zu singen vermag, sondern auch respektlos, humorvoll, aufmüpfig, anklagend, ironisch'sein kann, das macht van Veen dann sehr schnell deutlich. Aus vielen kleinen Einzelbausteinen setzt sich so im Verlauf des Abends das faszinierende Bild einer in der Tat außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeit zusammen: Van Veen parodiert Rock'n'Roll und Blues, van Veen tanzt. Van Veen spielt Geige. Van Veen macht Pantomime und Slapstick, legt sich vehement mit Gott an, liest satirische Texte, ist Spielkind, entrückter Philosoph und engagierter Kämpfer gegen Aufrüstung. Er ist Romantiker und Idealist und steht doch mit beiden Beinen im Leben. Er spottet und lästert und sprüht vor Sarkasmus - und wird im nächsten Moment wieder ganz weich und verträumt. Eben noch hat er das Publikum zynisch beschimpft - da klettert er schon von der Bühne, um einen bärtigen Besucher zu liebkosen.

"Ich hab' ein zärtliches Gefühl" singt er, und dieses zärtliche Gefühl drückt sich in allen seinen Liedern, Texten, Pantomimen und Parodien aus. Doch wenn die Zärtlichkeit einzulullen droht, haut er ganz gewaltig auf die Pauke. Aus diesem ständigen Wechselbad, aus der Gegensätzlichkeit seiner Mittel, bezieht van Veen seine Stärke. Das wirkt nach: Die vielen Teilchen des Mosaiks lassen sich nicht einfach konsumieren, sie erzwingen Nachdenken und Mitfühlen.

Herman van Veen studierte Musik, Geige und Gesang. Doch als Harlekin, als den er sich selbst sieht, geht er darüber weit hinaus: Er ist ein Unterhaltungskünstler auf allen Ebenen, dessen Intensität sich so leicht niemand entziehen kann, der ihn drei Stunden lang live erlebt.

Als er nach mehreren Zugaben quer durch die Stadthalle dem Ausgang zustrebte, ließ er ein jubelndes Publikum zurück, das mit "Herman! Herman!"- Rufen immer noch nach mehr verlangte.

Verständlich - denn Allround-Könner seines Kalibers sind heutzutage dünn gesät. .



MANFRED GILLIG