Obermain Tageblatt
co

Zärtliche Gefühle von Herman

2. Okt 1993

»Er zieht mich so in seinen Bann, daß ich schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage bin, nachzudenken«, schreibt Konstantin Wecker. Da ist er sicherlich nicht der einzige, dem es so ergeht. Gemeint ist Herman van Veen, der am Mittwoch und Donnerstag die Franken in Scharen nach Bamberg ins neue Kulturhaus lockte, um sie in ein Wechselbad der Gefühle zu tauchen.


So romantisch wie der blonde Schöne aus dem hohen Norden ist auch das Bühnenbild: Ein purpurner Mond beherrscht die gespenstisch anmutende Szenerie in Blau. Mit Hut und Geige in der Hand, so wie man ihn kennt, steht er da und flüstert mit der bezauberndsten Stimme aller Stimmen ins Mikrophon. Im Hintergrund jammert Nard Reijnders Saxophon mit Erik van der Wurffs Piano um die Wette, und das Publikum — 23 Kinder und Tausende von Erwachsenen — ist mucksmäuschenstill.

Zaubernd und zynisch

Wer Herman nur von der Platte kennt, ahnt wohl kaum, daß der Holländer nicht nur eine großartige Stimme hat. Er entpuppt sich im Laufe des langen Abends als Geräuschekünstler und Grimassenschneider, Geiger, Pianist und Parodist, Trommler, Clown und Märchenerzähler, Zauberer und Zyniker, Weihnachtsbaum und Ballerina. Scheinbar gibt es nichts, was er nicht kann, er ist einer der wenigen Großen, die so viel Herz für Kleine haben.

Der Mann, der als Baby so häßlich war, daß man ihm eine Bratwurst um den Hals gehängt hat, damit der Hund überhaupt mit ihm spielte, tanzt mit einer Unbekümmertheit über die Bühne, um sich im nächsten Moment in ein Monster zu verwandeln, vdaß es einem die Sprache verschlägt.

Während sich in der Juke-Box die Toten drehen (John Lennon oder Walther von der Vogelweide), quatscht Herman »Grwedido«. Welche Sprache das ist, weiß keiner, mand liebt dich, wieso ich?« Wer versteht das nicht. Der traurige Holländer, der so gerne den Clown mimt, wird zum Guru, wenn er mit seinem eigenen Echo spielt, lehrt jedem Jazzer das Fürchten, so viel Rhythmus hat er im Blut, und entpuppt sich als ein Siegfried, bei dem Opemstar Peter Hofmann bloß noch einpacken kann.

Van Veen ist Allround-Talent, ein kleines Genie. Er versteht es nicht nur mit der Damenwelt — etwa die Hälfte der Besucher war männlich —, und macht in punkto Sensibilität der Prinzessin auf der Erbse Konkurrenz. Viel Zeit zum Träumen läßt er nicht, zu gerne rüttelt er auf mit blutigem Ernst, für den die Welt genügend Stoff liefert.

Krebs, Krieg und Hungersnot, Ehedrama und Ausländerfeindlichkeit, Hermans Gedanken sind überall auf der Welt. Ja, wenn’s anders ausgegangen wäre, mit Hitler, dann gäbe es keine Dritte Welt, keine Grünen, Roten, Fixer und Homosexuelle, auch keine Juden, nur ein großes deutsches Reich, dann gäb’s auch keinen Herman, wenn’s anders ausgegangen wäre. In Holländisch, Englisch und anderswie singt er seinen Anti-Song, »always remember«; Solingen 1993: »Man geht fort und wird nicht vermißt. Hier wird die Herkunft zur Bühne gemacht. Du weißt ja nicht, Wie das ist« — sagt er, stülpt sich einen Eimer übern Kopf und geht.
Hermans Geheimnis kennt wohl so recht niemand, er ist halt ein großer Poet, schon als Poet geboren. So wie er hat wohl keiner einen solch starken Draht zum Publikum, er hält die Fäden zu jedem einzelnen in der Hand und zieht an ihnen, wie’s ihm gerade beliebt.

Weil er eben ein »zärtliches Gefühl hat zu dem, der sich zu träumen wagt«. -co-



co