.

Siegener Zeitung
C.S.

Van Veen - Clown, Poet, Geiger und Akrobat

2. oktbober 1989

Siegen. Dieser hagere Lulatsch mit den weit-aufgerissenen wasserblauen Augen und der schütteren blonden Haarpracht wechselt die Genres wie andere ihre Hemden. Ist er Clown, Poet, Parodist? Liedermacher, Geiger, Akrobat oder Schauspieler? Von allem ein bißchen und nichts richtig. Ein 44jähriges Bündel von Talenten. Im schwarz-weißen Schlabbermantel und einer Halbglatze, die vor Anstrengung hin und wieder knallrot leuchtet, steht der Holländer um Punkt acht auf der Bühne. Die Augen weiß verbunden, tastet er den Geschmack der Luft, kostet: „Aah! Siegen! “


Der Bann ist gebrochen. Ab jetzt haben der Vollblutkünstler Hermann van Veen und seine vierköpfige Musikercrew das Publikum in einer absolut ausverkauften Siegerlandhalle voll im Griff, in der van Veen jetzt das Finale seiner bisher längsten Tournee lieferte. Titel: „Bis hierher und weiter.“ Weiter ging es in der Tat, mehr als drei Stunden lang. Um 1000 Plätze hatte Konzertveranstalter Jo Kogel den Saal vergrößern lassen, so daß sich schließlich jeder der Fans - Querbeet durch alle Altersklassen - von diesem „Verzauberer der Seele“ in den Bann ziehen ließ. Verharrte man zu Beginn noch brav auf den Plätzen, stieg das Stimmungsbarometer spätestens nach der Pause bis zum Siedepunkt: unermüdlich erklat-schten sich die „van Veener“ Zugabe um Zugabe. Schon umgezogen, in grünem Jogginganzug, setzte sich Hermann van Veen wieder und wieder an den Flügel. Schließlich badete er nicht nur im Jubel und in Rosen, sondern auch im Schweiß und klitschnassen Hosen.

Pausenlos in Aktion

Ohne Zweifel, Hermann van Veen ist ein Phänomen, das man live gesehen haben muß. Pausenlos in Aktion, lieferte er Minute um Minute ein Stück Theater, ein Stück Einmannzirkus total. Wie die moderne Ausgabe einer Commedia-dell-Arte-Figur wirkt der schlaksige Holländer. Ein Hansdampf in allen Gassen, der sich von seiner Kindheit nie ganz verabschieden mochte. Sein Siegener Publikum jagt er die ganze Gefühlsskala hinauf und hinunter: die Zuschauer schreien vor Lachen, klatschten wie verrückt, schütteln manchmal nur noch den Kopf vor Begeisterung über die intelligenten Eskapaden dieses Virtuosen.

Eine perfekt harmonierende Bühnenmannschaft und seine langjährigen Musikerfreunde Erik van der Wurff (Synthesizer), Nard Reijnders (Sax, Klarinette, Akkordeon), Chris Lookers (Gitarre) und Cees van der Laarse (Baß) setzten das Tüpfelchen auf das i. Die ganze Bühnenshow ist bis auf die Sekunde genau geplant, trotzdem wirkt van Veen, als würde er ständig improvisieren. Man nimmt diesem rastlosen Romantiker mit der blauen Blume ab, daß er sich selber auf der Geige wieder fröhlich spielt. Nach

einem imaginären Telefonat mit seinem Töchterchen („Wenn Du Angst hast, singst Du ein Lied, das macht Papa auch immer, wird sogar sehr interessant bezahlt“) lädt van Veen seine Zuschauer ein zu einer poetischen Reise in seine Kindheit. Start: 1945 in Utrecht. „Was würde ich diesmal werden?“ Ein Multi-Media-Talent par ex-cellence. Wie ein Derwisch rast er mit wehenden Haaren über die Bühne, nicht mal ein Mikro braucht er, wenn er mit seiner eigentümlichen sanft-kräftigen kehligen Stimme seine Lebensphilosophien herausschreit. Die Oktaven beherrscht er wie ein Kammersänger, kein Wunder, daß seine Caruso-Imitation nahezu perfekt gelingt. (Schließlich hat van Veen am Utrechter Konservatorium Gesang und Geige studiert.) Er jongliert mit Lauten wie andere mit Bällen.

Regenbogenfarben schimmern

Kaum erklingen die ersten Akkorde seiner Lieder wie „Anne“, „Ich hatte einen Traum“, der Klassiker „Ein zärtliches Gefühl“ oder aus seiner neuen LP „Bis hierher“, singen die Fans begeistert mit. Von einer Bühnenwand, die in allen Regenbogenfarben schimmert, liefern van Veen und seine Mannen ein skurriles Spiel mit der Phantasie. Immer im Mittelpunkt: der Meister selbst. Mal in riesigen weit schwingenden Sombreros, mal mit weißen Masken begleiten ihn seine Musiker. Van Veen läuft zu Topform auf, läßt alle Facetten seiner Kunst schimmern: mit chewing-gum und rollendem rrr persifliert er acidgeschädigte Discofreaks, um danach zur Geige zu greifen und ein eindringliches Chanson anzustimmen. Wie ein Chamäleon wechselt er seine Farben. Denn van Veen ist gerade ein Meister der leisen Balladen, in denen Musik und Gesangsstil einfach, durchsichtig und sanft bleiben.

Ein zentrales Thema in van Veens Kunst ist der Tod. Mit ihm setzt er sich immer wieder auseinander, weil „ich vorm Sterben Angst habe“. Doch van Veen läßt seinem Publikum keine Zeit, in dieser nachdenklichen Stimmung zu verharren. Dazu ist er zu sehr Entertainer. Noch stehen eine Samurai-Parodie, ein ganz schön heißer Striptease (bis zur Turnhose) und die Zeitlupenaufnahmen einer Boris-Becker-Vorhand auf dem Programm. Ein letzter Totentanz mit dem Plastikskelett aus dem Spiegelsarg, eine letzte Stepeinalge mit einer Miniatur-van-Veen-Puppe, ein letztes Mal dirigiert er sein Publikum - dann schließt Hermann van Veen seinen Zauberkasten und verwandelt siclj in einen leise mahnenden Chansonnier. Und er hat wohl Recht, wenn er am Schluß sagt:

„Ihr glaubt, ihr kennt mich jetzt? Ich bin nur ein Gerücht.“



C.S.