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Siegfried P. Ruppert

Herman van Veen

Alternativen zum bunten Schlager-Einerlei

1 nov 1981

Die Liedermacher der ersten Stunde klagten die Gesellschaft an, bekannten sich zum Pazifismus und boten zum Teil hausbackene Politparolen. Mittelpunkt war das politische Engagement. Nicht so bei der nachfolgenden Liedermacher-Generation, unter ihnen Herman van Veen.


Das Streben nach Vervollkommnung ist für Herman van Veen kein Ideal, höchste Qualität aber ein unabdingbarer Anspruch. In seinen Langspielplatten spürt man zu diesem Gesichtspunkt noch die innere Reife des Künstlers, der seine Lieder erfreulich und erstaunlich unmittelbar zu singen weiß, die Stimmung feinfühlig nachbildet - aber nicht vergessen läßt, daß es sich hier weniger um eine musikalische Zusammenfassung von Erinnerungen und Gedanken handelt, viel mehr um Alltagsbilder. Diese - plastisch, genau im Detail und mit literarischem Ehrgeiz - sind Bekenntnisse und Anprangerungen, die Wechselwirkung her- vorrufen: Spielerisches, Trauriges, Heiteres. Kommerzielle Spielweisen tauchen in Herman van Veens Werk nicht auf. Dafür ist es zu engagiert, sein Bewußtsein zu sehr formschöpferisch begründet. Es sind Lieder, Balladen, Szenen.

Lieder zum Zuhören und Nachdenken

Wo andere sich laut ereifern, singt Herman van Veen mit leiser, sanfter, manchmal auch wehmütiger Stimme. Daß sie dennoch viel tiefer dringt, als die der meisten Zeitgenossen, verdeutlicht seine Publikumswirkung. Man muß zuhören, nachdenken. Seine Lieder sind nicht immer,.schön", teils unbequem, kritisch, manchmal bissig. Er erzählt Storys statt 23 Phantasiegebilde, singt über alltägliche Begegnungen mit Worten, die das Alltägliche in neue Gestalt kleiden. Er entstaubt, rüttelt auch mal auf, zieht Zwischenbilanz. Seine Botschaft ist für den Menschen über den Menschen. Herman van Veen:

"Ich hab' ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen traut,
der, wenn sein Traum die Wahrheit trifft
noch lachen kann - wenn auch zu laut..."

Beobachtungen ohne Zeigefingergehabe

Es gab Stimmen, die sagten, nach den Schrecken von Auschwitz, nach Schreib- und Auftrittsverbot, sei keine Lyrik - und damit auch kein Lied - mehr möglich. Die Tradition sei zerschlagen und vergewaltigt, die Wurzeln verschüttet. Aber es kam anders. Die Nachkriegsgeneration kritisierte wieder, engagierte sich. Als Medium bot sich das Lied, das Chanson, an. Wolf Biermann, F.-J. Degenhardt und Hannes Wader öffneten den Markt und schufen Breitenwirkung für die nachfolgende Liedermacher- Ära. Diese Breitenwirkung hatte aber auch ihre Kehrseite. Die Plattenindustrie wurde hellhörig und vermarktete den Boom. Viele Liedermacher paßten sich an, machten Zugeständnisse und trieben zum Teil ins seichte Schlager-Einerlei ab.

In diesem Umfeld gründete Herman van Veen nach seinem Studium am Utrechter Konservatorium 1968 mit Laurens van Rooyen "Harlekijn Holland", eine Organisation mit "factory"-Charakter für multimediale Produktionen.

Der zunehmenden Kommerzialisierung und den Anpassungszwängen der Plattengesellschaften widerstand er mit Bodenständigkeit und einer Portion Eigenwilligkeit. Zugute kam ihm, daß ihn modische Musiktrends nicht interessierten. Ihm war es wichtiger, seine Träume zu verwirklichen, eine persönliche Linie zu finden. Vorgeprägte Schablonen lehnte er ab. Lieber legte er poetisch die Finger auf die Wunden unserer Zeit. Aber nicht mit Zeigefingergehabe, sondern verhalten und mit musikalischer und textlicher Überschaubarkeit.

Sein Entertainment ohne Zuk- kerguß-ldylle und seine Alternative zum bunten Musikkarussell kamen an. Seine Liedei, seine Gestik und Mimik, umkreisten die zentralen Probleme des Lebens. Sie waren zeitgemäße, wirkungsvolle Alltagsbilder, die er mit überzeugender Interpretation durchschaubar und stichhaltig machte, fern von jeglichen Herz- und Schmerztönen. 1969 erhielt er überraschend die "Silberne Harfe" der Stiftung Conamus. Mit einem Schlag rückte Herman van Veen ins Rampenlicht. Der Grundstock war da. die Marschroute geebnet. Preise und Auszeichnungen häuften sich. Seine ebenso scharfen wie sensiblen Beobachtungen, seine unverwechselbare Harmonie von Worten und Bildern eröffneten auch beim Publikum hierzulande wache Ohren und Augen. Sein intelligenter und wichtiger Beitrag zum Verständnis zu den Menschen wurde von einer deutschen Tageszeitung mit der Verleihung des "Stern des Jahres" anerkannt.

Sein Erfolg setzte sich fort. 1977 entstand die Kinder- Fernsehserie "Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen". Im August 1979 debütierte er in dem Kinofilm "Auseinander". Dazwischen Schallplattenaufnahmen, Versteigerung von sieben Goldenen Schallplatten zugunsten von UNICEF, Tourneen und Auszeichnungen (u. a. Edison- Preis und Louis-Davids-Ring für den besten Originalsong). Parallel zu seiner Künstlertä- tigkeit gründete er mit Joost Taverne die Stiftung "Colom- bine" als Entwicklungshilfe für Kinder in den Ländern der Dritten Welt. Dieses Plädoyer tür Wesen und Welt der Kinder war dabei nicht als Augenwischerei, ein paar schöne Lippenbekenntnisse oder gar als plumper Werbegag gedacht, sondern als Aufforderung an die Menschen, durch den Spiegel wieder sehen zu lernen. Eine Lebens- und Charaktereinstellung, kurz: Überzeugung, die sich voll mit seinem musikalischen Werk deckte.

Hermann van Veen: "Ein Teil meines Lebens gehört meiner Familie, ein anderer gehört meiner Arbeit für Erwachsene und für Kinder, die nichts zu entscheiden und nichts zu essen haben. Das sind die Beine, auf denen ich laufe."

Eigene Sprache

Hermann van Veen vermied von Anfang an, plakative Schlager-Leerformeln zu verarbeiten. Er produzierte seine Lieder als eine Art Informationsquelle. Seine Texte verschleiern keine Realitäten und lenken nicht, wie die üblichen deutschen Schlager, von dem ab, worauf es ankommt.

So hat sich der Niederländer Empfindsamkeit, Phantasie, aber auch Kindhaftes bewahrt. Persönlichkeit und Programm stimmen überein. Er sucht bewußt die Verbindung zum Hörer - und findet sie. Darin liegt, vermutlich, seine Wirkung. Trotz allem Erfolg und Engagement eignet sich Hermann van Veen jedoch nicht als Schlagzeilen-Star.

Er gehört vielmehr zu den seltenen Liedermachern, die eine eigene Sprache besitzen.



Siegfried P. Ruppert