STUTTGARTER ZEITUNG
Ruprecht Skasa-Weiß

Künstler und Kasper

Herman van Veen in der Stuttgarter Liederhalle

1 feb 1980

Natürlich, auch wir hier haben dolle Künstler, dolle Entertainer. Aber die alle begnügen sich. Der einä begnügt sich, eine schöne Chansonstimme zu haben und damit Schönes zu singen. Der andere begnügt sich, ein Faxenmacher zu sein, ein Otto, nichts sonst. Dieser dagegen: begnügt sich, für Kinder zu spielen. Und jener: macht sowieso bloß Ballett. Ein Begnügen, das ganze Leben. Hie das Ernste - dort der Jux; hie das ästhetisch Anspruchsvolle - dort Quatsch mit Soße; hie E - dort U.


Und jetzt kommt einer daher, von Holland herüber, und huppt alle diese Identitäten über den Haufen, der vereinbart sie alle und noch ein paar mehr, der ist schlicht nicht zu fassen: Herman van Veen. Ein Kind, ein Mann; ein Künstler und Kasper; ein heiliger Narr. Weit müßt man laufen in deutschen Schlager- und Chansonlanden, und fände doch keine so klangstark-schöne Stimme mehr; ja, weh, wunderlijk wee könnt's einem werden bei diesen liederen - wenn da nicht augenblicks der Absturz käme (oder der Aufschwung?), plauzdich hinein in die Clownerie. Auf einmal wrtschlrdlt's stimmwunderlich aus dem Munde dieses blauäugigen Stirnglat- zen-Apostels im Elektrikeranzug, dann beginnt so jäh -wie-sehteifbeinig-sein Grotesktanz im Spotlight* mit akrobatisch-ballettösen Schrittfolgen, ein blauumzucktes Popkabarett. Der Mann ist ein Hunderttausendsassa, sein Programm ein Gesamtquatschwerk, wobei in dem Quatsch natürlich schon wieder, faustdick, die Kunst steckt.

Daß er ein veritabler Geigenvirtuose ist - will man es glauben? Ünd ein Whistler, ein Pfeifbursche von ergreifenden Gnaden? Und ein Tänzer und Juxifex? Wie der o-o-o-o-en kann mit den Beinen, schier ungeheuerlich musikalisch in jeder Staks- und Schleifbewegung, und schnarren, "Gudrruun, kannst du mich remembrrrn?" Der klettert, buchstäblich, reihenweis über die Köpfe der Liederhallenbesucher hinweg, immer auf Suche nach Gudruun, ein Aap, aber ein eminent viriler. Der läßt die Kindlein zu sich kommen, und siehe da, wer vor ihm hockt, das sind - wir. Sind wir jung, sind wir alt? Lustig oder angeweht von einer großen Ahnung vor dem Schönen, Perfekten, Virtuosen? Wird uns fromm zumut, oder albern und spottvoll? Alles in einem.

Van Veen: Theatermacher, Ballettkomponist, Bücherschreiber (neun holländische, ein deutsches), Fernsehproduzent für groß und klein, Chansonnier (einundzwan zig holländische LP, elf deutsche) nicht nur für die Großen, und seine Saga, "wat de bijbel ons vertelt", nicht nur für die Kleinen. Ein Gesamtmensch. Und ein riesiger Clown, grade drum. Tief sich verneigend, steht er im Sternenzentrum der Spotlights, zusätzlich milde beschienen von einem lampionisch die Farbe wechselnden Mond, und mit einemmal geigt er uns was, irrwifzig gut und zweideutig virtuos, denn - wi- ing, er leistet sich den Schabernack, diese Geige zu "stimmen", es fügt sich nahtlos in sein Bravourstück: ein Grock der modernen Music-Szene, ein Musicalclown im Reich des Chanson-Entertainments.

Die Show ist perfekt. Perfekt die Musiker, die pfiffigen Arrangements, neckische Spielmännerei, dezent verpopt und grotesktheatralisch; perfekt der ganze Bruder Lustig-Traurig, egal ob er seinem "Mädchen aus verflognen Tagen" hinterhersingt oder ob er, stimmlich ein vitalerer Bruce Low (minus dessen baßbaritonale Pomade), sich im schwirrenden Steelband-Calypso Gehör verschafft und auf seiner Conga trommelt, im eifernden Zorndisput mit Con- und -ga, akrobatisch und buhlend, ein Aufhauer, dem die Trommelbegier ins eigne Gesicht springt: auf den Backen trommelt er weiter, auch dies ein rhythmisch-akustisches Wunder. Popkabarett: zum Beispiel die "Präsidentenansprache", dieses russische Konsonantengewurrl; nur ein "Bein von Titowitseh" scheint 'rauszu- ragen aus dem Silbenschlick, bevor das Gebrabbel - Afghanistan ist gefallen, als Wort - bruitistisch eskaliert.

Ja, unser Applaus wäre fuurchtbar - wenn er, der pfiffige Harlekin, ihn nicht längst vorweginszeniert hätt': Applaus als jederzeit versiegende Geräuschdusche, an- und abstellbar im lichtschrankenkreuzenden Griff nach der eignen Wesensmitte, nach dem Gemächt, mit Stereo-Effekten entsprechend der Körperhälftenberührung. Herman van Veen, heiliger Narr, Kind und Mann, sozialer Narziß, tanzt uns auf den Köpfen rum, weil er uns liebt, macht aus Kunst Gekaspere und aus dem Lächerlichen das Größte, macht Sachen, daß man ihn "op handen" tragen will für diese Vorstellung - und joggt am Ende durch den mitternachtsdunklen Beethovensaal, bis vor die oberste Empore, ein Rattenfänger, der sie allesamt ans Gängelbändel kriegt, die großen kleinen Leute, kilometerschlangenlang.



Ruprecht Skasa-Weiß