Profile

Herman van Veen bewegt Herzen und Hirne

aug 1986

»Man muß ihn liebhaben, den Clown, Sänger, den Zauberer Herman«, schrieb die »Süddeutsche Zeitung« jüngst über den Mann »mit den schönsten blauen Augen der Welt.«


Die Ost-»Berliner Zeitung« hatte es da schon weniger leicht, denn »für ihn die richtigen Worte zu finden, ist unglaublich schwer, hat man doch selten Gelegenheit, einem derartigen Multitalent zu begegnen.«

Der »Generalanzeiger für Bonn« begann gar seinen Konzertbericht mit einem typischen van Veen-Wort: »Formidable, Herman, wie Du uns wieder dirigiertest«, und der FAZ bot der blonde Holländer Anlaß zu einer Betrachtung über »Die große Kunst der Kleinkunst«.

Tout Paris, das van Veen auf der letzten Tournee erlebte, war hin und weg. »Le Figaro« berichtete vom »Phänomen«, »L’Humanite« schrieb gar vom Genie, und Georges Moustaki begrüßte in seinem »Bruder aus den Niederlanden« die »Weisheit des Possenreißers und die Frechheit des Moralisten«. Et bien, dann gab es noch mehrere Auftritte in Österreich, von denen einer nun mit dem aktuellen Live-Doppelalbum dokumentiert wird: »Ein Holländer — Live in Wien« heißt das herma-neske Kaleidoskop vom schrulligen »Harlekijnlied« über gesprochene und gesungene alte und neue Texte bis zur van Veen-Version von David Bowies »To-night«.

Derzeit tourt van Veen zum ersten mal seit langer Zeit wieder in seiner holländischen Heimat. Neue An- und Einsichten vermittelte jüngst das belgische Blatt »De Morgen«, aus dem Interview mit Jacky Huys, das wir auf Anfrage gern verschicken, erfährt man u.a. etwas ...über Politik im Programm Herman van Veens:

»Früher galt es als politisches Theater — besonders in den Niederlanden — wenn man einen Politiker auf die Schippe nahm. Ich habe das nie machen wollen, weil es auch immer darauf hinauslief, daß es zur Reklame für den betreffenden Politiker wurde. Also mache ich kein politisches Theater im traditionellen Sinne des Wortes, trotzdem mache ich politisches Theater und zwar gerade, weil ich nicht über Politik rede.
Und das ist erheblich politischer als man gemeinhin annimmt. Nimm die Wahlen in den Niederlanden. Der Irrtum war: rechts ist Politik und links ist Diplomat. Das sind zwei verschiedene Phänomene und genau deshalb hat Links verloren.«

...über die Zukunft der Menschheit:

»Wir steuern auf eine Explosion zu, das ist un-ver-meid-lich. Es geht nicht anders, es ist immer so gewesen, warum sollte es jetzt plötzlich anders werden. Bedauerlicherweise hat es immer Krieg gegeben, also wird es auch in Zukunft Krieg geben. Es sei denn, man begreift und rüstet ab. Wenn man das nicht macht, rüstet man auf, und das führt dazu, wozu es immer geführt hat: zu einem Inferno. Und das wird so organisiert sein, daß es Südamerika oder Europa oder den Nahen Osten trifft. Es ist auch notwendig, daß das geschieht. Nicht für mich, denn ich bin nur ein tragisches, zuschauendes Opfer. Nein, es ist notwendig für die Denkweise dieser Welt. Es ist notwendig für die Ökonomie des kapitalistischen Denkens. Die fordert einen Konflikt. Dieses Bewußtsein und diese Industrie brauchen das. Eine Anzahl Menschen wird das überleben und wir wissen alle, welche Menschen das sein werden.«

...über sein Publikum:

»Das variiert von Saal zu Saal und von Abend zu Abend. In der ersten Vorstellung sitzen viele Abonnements. Oder viel Presse. Freitags wollen die Menschen ausgehen. Berlin ist viel härter als München.«
Hast du niemals das Gefühl, daß es einen Kurzschluß zwischen dir und deinem Publikum gibt?
Van Veen: »Am laufenden Band. Und jeden Abend auf eine andere Weise. Dann denke ich: Nanu. Oder: Sieh einer an. Oder: So.«

...über seine Arbeit:

»Ich bin nicht unglücklich, ich bin ein realistischer Pessimist, ich überlebe mit einem Grinsen. Ich habe Glück, ja. Ich kenne eine Masse Leute, die mich lieben. Mit der Randbemerkung, daß einem nichts in den Schoß fällt. Es gibt keinen einzigen Theaterdirektor, der mich anruft, um zu fragen, ob ich bitte bei ihm auftreten möchte. Man muß die Umstände kreiren, in denen Glück möglich wird. Der Kurs, auf dem ich fahre, ist Aufrichtigkeit, mein Ballast ist eine immense Portion Verantwortlichkeit.
Ich frage manchmal: Wie viele Stücke Beton hätte ich wohl kaputtgeschlagen, wenn ich diesen Beruf nich gehabt hätte?

Aber immerhin, ich brauche morgen wenigstens nicht zum Psychiater zu gehen (schweigt).«