Tip-Berlin
Ursula Waag
Jürgen Liebling

Du, ich und der Hofnarr singen für den Frieden

juni 1977

"Wie umschreibt man sich selbst?" fragt Herman van Veen in einem Gedicht, "als ein Sänger ein Tänzer ein Schauspieler ein Autor etc./ in Holland sage ich dann immer/ um die Sache los zu sein/ ich bin ein Beweger/ in Deutschland war das sehr falsch/ ein A.H. sagte das früher/ nämlich auch." Augenblicklich befindet sich dieser schwer zu be- und umschreibende Entertainer auf einer über zweimonatigen Deutschlandtournee.
Am 20. November ist er im Theater des Westens nochmals zu sehen. Am 13. November startet im Deutschen Fernsehen eine sechsteilige Kinderserie mit dem Titel "Die wundersamen Abenteuer des Herman van Veen" - eine Serie, die erstmals mit der finanziellen Ausstattung eines Abendprogramms gedreht wurde. Herman van Veen ist ein philosophierender Harlekin, ein bitter-süßer Troubadour, ein träumerisch-bissiger Moralist und gewiß auch ein singender Narziss. Man muß ihn lieben - oder man läßt es bleiben.
Ursula Waag und Jürgen Liebing sprachen anläßlich seines Auftritts im letzten Monat mit dem Holländer Herman van Veen, der in diesem Interview seine Widersprüche nicht verkleistert, sich dadurch angreifbar macht und Kritik herausfordert.



J. L.: Dein neues Programm, Herman, heißt "Unter uns", so auch der Titel der jetzt erscheinenden Langspielplatte. Das klingt nach Stille, bedeutet es auch Resignation?
Das hängt damit zusammen, daß man älter wird und dahinterkommt, daß eigentlich alles noch viel schlimmer ist. Die Welt, die unsere Eltern uns versprochen haben, die existiert nicht. Die kann existieren, aber nur durch dich selbst. Doch praktisch gesprochen, rundherum, was so passiert, gibt es wenig Erfreuliches. Man wird tagtäglich konfrontiert, jetzt natürlich auch in Deutschland, mit der unverarbeiteten Vergangenheit. Buchstäblich bin ich ein bißchen still davon geworden. Ich habe keine Lust, großen Aufwand zu treiben. Ich will nur versuchen, durch das, was ich denke, was Menschlichkeit ist, auf meine Weise dazu beitragen, eine Kommunikation lebendig zu erhalten.

U.W.: Wenn man dich nur hört, denkt man, du singst Hebe schöne Lieder. Wenn man dich aber in der Vorstellung sieht, bemerkt man, daß viele Lieder durch Aktionen einen ganz anderen Sinn bekommen.
Eine Platte ist eigentlich eine ziemlich sterile Sache. Aber in der Vorstellung gehört ein Lied immer in einen Zusammenhang, z.B. das "Südafrikanische Wiegenlied". Das hat natürlich viel Bedeutung, besonders jetzt, da sich die ganze Situation zuspitzt. Ich habe das darum auch auf der Platte gesungen, weil es sehr merkwürdig klingt, daß jetzt eine weiße Mutter für ihr Kind singt: du hast eine Zukunft undsoweiter. Die haben überhaupt keine Zukunft, wenn die nicht aufpassen, gibt es einen riesigen Rassenkrieg. Ich singe auch: bleib noch klein und freue dich, ein Kind zu sein. Das klingt dann alles ein bißchen süß, aber wenn man das im Zusammenhang sieht auf Bühne, wo ein Kralsgesang hinzukommt, dann wird es auf einmal ganz hart, und dann ist es viel mehr als nur ein Lied.

U. W.: Einige deiner Lieder haben sozialkritischen und politischen Hintergrund. Mancher Zuschauer würde sich ein deutlicheres, stärkeres politisches Engagement wünschen.
Leute versuchen immer Klarheiten zu erlangen über andere Leute, so daß sie sie in ein Kästchen packen können, und dann ist der Mann für sie gestorben. Dann haben sie es kapiert, und es ist total uninteressant für sie geworden. Ich bin unklar, weil alles unklar ist. Ich habe Angst, daß alles so einfach ist, daß alles so kriminell ist ... Ich meine, was jetzt in Deutschland passiert, das ist so kriminell, so tief kriminell von allen Seiten. Vor der Pause habe ich auf der Bühne einen Faschisten gezeigt und nach der Pause einen Jesus-Freak, und die Leute haben beidemal geschrieen. Was das für mich bedeutet, ist wahnsinnig viel. Das ist mein politisches Statement: Daß das alles möglich ist, weil eine Anzahl sehr cleverer Idioten manipulieren können.

U.W.: In deinem "Blumenkohl'-Lied beschäftigst du dich mit der Situation der. Frau. Du bist dabei leider nur auf der Erscheinungsebene geblieben, du hast geschildert, was sie tut, hast aber nicht gefragt, warum das so ist. Es ist natürlich ihr Problem, aber es ist kein Problem, das durch sie gemacht ist, sondern von Männern.
Nein, das ist etwas, was in meinen Kopf nicht hinein will. Man kann nicht sagen, daß Männer dieses Problem machen, das ist der größte Unsinn, den es gibt. Ich habe den Eindruck, daß viele Frauen, weil sie zu doof sind, die Männer benutzen, weil sie die Idee haben, daß das Glück sei. Ich sage das aus eigener Erfahrung, ich weiß, worüber ich rede.

U.W.: Die gesellschaftlichen Erwartungen an eine Frau sind doch aber die, daß sie heiratet und Kinder bekommt. Sie hat ja an sich keine Alternative.
Ich meine, es liegt nicht nur an den Männern. Es ist viel komplizierter. Es gibt den großen Unterschied zwischen Mann und Frau, und der ist, die Frau bringt das Kind zur Welt. Aber man kann nicht sagen, weil die Frauen Kinder haben, sind sie Schlachtopfer oder so etwas. Ich glaube, daß sowohl der Mann als auch die Frau viel mehr nachdenken müssen über ihre Position. Und ich sage das als Mann. Solange sich Frauen noch schön machen für die Männer, finde ich, daß sie sich mit unwichtigen Dingen beschäftigen. Sie haben genau so viele Möglichkeiten wie die Männer, aber sie müssen diese Möglichkeiten auch wahrnehmen. Was das betrifft, so habe ich ein bißchen Antipathien gegen solche Frauenbewegungen. Ich meine, Emanzipation ist: An die Arbeit! Tun! Reden über Emanzipation ist für die Katz.
Frauen werden natürlich von Männern wahnsinnig ausgenutzt, weil sie allerlei Dinge haben, die Männer schön finden, wofür sie bezahlen. Das sind auch Deppen und Doofe, die das tun. Das sind nicht meine Männer.
Wenn ich in dem "Blumenkohl'- Lied über die Position der Frau rede, sage ich auch: der Mann kommt nach Hause, um seine Frau ins Licht zu drehen und ihr Wasser zu geben. Also damit sage ich alles über den Scheißmann. Ich stelle damit also nicht nur die Position der Frau infrage, sondern auch die des Mannes. Der Mann kommt in seinem Auto nach Hause. Sie liegt nur, um die Beine breit zu machen, um rein zu . . . zu . . . organisieren. Sie weiß, was sie es tun muß. Was sie tun muß? Ihm eins vors Maul hauen, das muß sie tun, und sagen: paß auf, das bleibt geschlossen, nie mehr rein ohne Liebe. C'est ca!

J.L.: Am 13. November beginnt eure sechsteilige Kinderserie "Die wundersamen Abenteuer des Herman van Veen . Da gibt es Titel wie "Der tiefgefrorene Agent", "Das ängstliche Gespenst Als die Mühle fliegen lernte" Das deutet an, daß es da alles gibt. Spannung und Phantasie. Ist da auch Realität drin?
Wenn ein Mann, der Geschichten für Kinder schreibt, anfängt, die Geschichten zu erklären für Erwachsene, bleibt wenig übrig. Wenn man versucht, eine Satire oder ein Gedicht zu erklären, dann hört es auf. Das ist eigentlich mit der Geschichte auch so. Ich habe schon in der Presse Sachen gelesen, die versucht haben, das zu umschreiben; aber dafür ist es nicht gemacht, es ist gemacht für Kinder. Ich kann versuchen, ein wenig zu erklären, aber ich weiß, daß das eigentlich nicht geht. Ich tue in der Serie Dinge, die eigentlich nicht können. Also, ich gehe durch die Wand. Da hängen Malereien, und wenn ich ein bißchen traurig bin, oder ich fühle mich nicht sehr wohl oder will flüchten, dann verschwinde ich einfach durch die Wand. Dann komme ich in eine Welt, die ich mir sei ber ausgedacht habe. So wie viele Leute sich eine Welt bauen, um mit der Realität nichts zu tun zu haben. Das ist in diesem Fall mehr Phantasie als Wirklichkeit, aber ich versuche, wie wenn man ein Bild oder ein Gedicht macht, die Wirklichkeit von einem anderen Standpunkt zu kapieren, weil das mit ABC nicht zu sagen ist. Ich finde zum Beispiel von Kinderserien, daß die oft viel zu viel mit Gewalt zu tun haben oder Wiederholungen von scheißalten Filmen sind.

Also, ich habe versucht, mit unserem Talent, mit unseren Ideen etwas zu machen, das keine Grenzen hat. Ich spiele zum Beispiel Geige mitten im Verkehr, auf der Autobahn. Das geht nicht, das ist verboten, und da kommt auch ein Riesenbumm raus, und die ganze Welt rennt hinter mir her, weil ich etwas Verbotenes getan habe. Ich versuche eigentlich, mit der Wirklichkeit im Hinterkopf, sie ein bißchen zu zeigen. Aber, wenn ich das sage, bin ich schon falsch. Das ist es. Es sind allerlei Geschichten mit viel Musik, die eigentlich nicht passieren dürfen, aber dadurch passieren können.

J. L.: Gibt es für dich einen Unterschied, ob du für Große oder Kleine schreibst?
Ich versuche, mit mir selbst zu leben. Das ist schwierig, in deutsch zu erklären, das klingt alles wie Elefanten. Wenn ich denke, daß es etwas bedeuten kann, dann arbeite ich mit, und ich denke nicht an ein Publikum, ob die Leute das schön, wichtig oder unwichtig finden. Wenn ich es wichtig finde, dann glaube ich, daß das Publikum das auch findet. Wenn ich ein guter Mensch bin, dann spreche ich vielleicht auch das Gute in anderen Menschen an. Wenn ich ein Arschloch bin, dann spreche ich das Teil der Menschen an, das wir gemeinsam haben. Ich glaube, der einzige Unterschied liegt im Wortgebrauch, ( nicht in der Intention. Für Kinder muß j man genau so hart arbeiten wie für Er wachsene. Ich will nicht sagen, harter oder weniger hart Wenn jemand lugt dann sage ich, daß ei lugt und nicht, daß er ein Hypokrit ist, weil dann den ken die Kinder vielleicht, das ist der Assistent von Sankt Nikolaus



Ursula Waag
Jürgen Liebling