COSMOPOLITAN
Vivian Naefe

HERMAN VAN VEEN DER POET MIT DEM SCHARFEN BISS

mei 1987

INTERVIEW

Er liebt es, wenn sein Publikum lacht. Trotzdem beißt er oft auch die Hand, die ihm applaudiert. Er ist ein Clown, den man ernst nehmen muß. Vivian Naefe sprach mit dem 42jährigen Holländer in Amsterdam



Er singt in einem seiner Lieder: "Ich hab' ein zärtliches Gefühl für den, der sich zu träumen traut." Herman van Veen traut sich.
Er träumt öffentlich, seit 20 Jahren. Es sind zärtliche Träume von der Liebe, von Kinderspielen, von der Einsamkeit - aber auch Alpträume über die Bombe, die alltägliche Brutalität und über Kinder, die hungern.

All dies bringt er in einem Drei-Stunden- Marathon auf die Bühne, der wie ein künstlerischer Zehnkampf wirkt: er ist Sänger und Geiger, Pianist, Parodist, Tänzer, Schauspieler, Pantomime, Geschichtenerzähler. Und letztendlich das, was er selbst sein möchte: ein Clown im Flickenmantel mit einem schellenbesetzten Hut. Einer, der sein Publikum zum Lachen bringt. Das schafft er mit ironischen Zaubertricks oder einer rotzfrechen Boris-Becker-Parodie und der Verhohnepipelung amerikanischer Rocksänger. Aber auch mit Nummern, bei denen das Lachen im Hals gefrieren will - so, wenn er Lieblosigkeit karikiert, indem er in einer Szene Zärtlichkeit anbietet und dafür nur Geldscheine erntet ...

Doch van Veen wäre kein Clown in der Wahlverwandtschaft zu Charlie Chaplin, läge ihm nicht auch die Melancholie nahe. So balanciert er immer wieder schnell in die Poesie, mit traurigen Liedern, nachdenklichen Betrachtungen. Und dann die knüppelharten Szenen über Krieg und Tod. Mutig gegen Tabus, frech gegen die Mächtigen - und immer zugegeben ratlos gegenüber der Welt und dem Leben.
Die Weisheit des Clowns ist unbefangen - das hat van Veen immer wieder den Vorwurf der Naivität eingetragen. Was ihn kaltläßt: Er ist der sanfte Anwalt der offenen Gefühle. Und "Blauäugigkeit", diesen coolen Begriff der Zyniker, hat er sowieso gepachtet: Der Holländer mit dem fahlblonden Haarkranz schaut mit Augen ins Leben, die ein Kritiker mal als "die schönsten blauen Augen der Welt" bezeichnet hat.

Angefangen hat Herman van Veen - Jahrgang 1945 - ganz klassisch: mit 17 ging er aufs Konservatorium und studierte Gesang und Geige. Doch schon einen 'Pag nach der Abschlußprüfung stand er mit seinem eigenen, ganz unklassischen Programm auf der Bühne. Seit 1967 tourt er durch Europa, 1982 debütierte er am Broadway. Er ist Herausgeber von "Pierrot", einer Zeitschrift für Kunst und Kultur. Und ganz "nebenbei" machte er ein halbes Dutzend Fernsehsendungen, drei Spielfilme, rund 20 Platten. Schrieb vier Schauspiele und drei Kinderbücher (das bekannteste: "Die Ente Quak"). Er ist seit 1968 Hollands Goodwill-Botschafter bei der UNICEF. Und "gar nicht nebenbei" - wie er betont - ist Herman van Veen mit der holländischen Schauspielerin Marlous Fluitsma verheiratet und hat vier Kinder.

Als er mich, überpünktlich, im altehrwürdigen Amsterdamer "Carre"-Theater empfängt, wirkt er schüchtern, müde und abgespannt. Wir lassen uns im gleißend hellen, prunkvollen Pausen-Cafe nieder. Am Abend zuvor habe ich seine Show gesehen. Da war er auf Volldampf. Jetzt ist er leise. Schaut ruhig auf die Amstel vor dem Fenster. Gut, daß die Sonne scheint - sonst wäre sie sofort übermächtig, die Melancholie, die von ihm ausgeht ...



COSMOPOLITAN: Was hat eigentlich ein Clown in unserer Welt der schnellebigen Sensationen und der Videoclips noch zu suchen?
VAN VEEN: Es hat mich immer gegeben. Es ist nicht wichtig, was die Funktion von uns Clowns ist. Wenn einer mit 3000 Kilometern Geschwindigkeit unterwegs ist, wird er mich sowieso nicht sehen. Meine Aufgabe in diesem merkwürdigen Berufist, so wahrhaftig wie möglich zu sein und den direkten Weg in die Unsicherheit zu finden. Ich biete keine Sicherheit, weil ich keine einzige Antwort habe. Ich kann nur Fragen stellen. "Vielleicht" ist meine einzige Antwort. Mein Kurs ist die Aufrichtigkeit, und meine einzige Konstante, daß ich mich immer völlig verausgabe.

COSMOPOLITAN: Gibt es denn ein Ereignis im Leben, das Sie auf diesen "merkwürdigen" Beruf hingeführt hat?
VAN VEEN: Ja, ich glaube schon. Als ich in der Montessori-Schule war, mit acht Jahren, da hat mir ein Lehrer eine Geige geschenkt. Ein Jude, der in Holland während des Krieges im Lager war, und sein Arm war kaputt, er konnte nicht mehr Geige spielen. Da hat er zu mir gesagt: "Du kannst so schön pfeifen - nimm die Geige." So hat's angefangen.

COSMOPOLITAN: Ihr Elternhaus war nicht künstlerisch, Ihr Vater arbeitete als Typograph ...
VAN VEEN: ... richtig. Aber mein Großvater war artistisch begabt. Er konnte sehr gut Billard spielen und Schlittschuh laufen. Er war holländischer Meister im Eiskunstlauf. Mein anderer Großvater handelte mit Futtermitteln und Gräsern. Sonntags nachmittags hielt er Vorträge über Jesus. Er war ein Freizeitprediger. Ich habe noch zwei Schwestern. Die sind verheiratet, haben Kinder und sind beide sozial sehr engagiert, aber nicht künstlerisch.

COSMOPOLITAN: Sie haben mit 17 aber erst einmal den klassischen Weg eingeschlagen und sind aufs Konservatorium gegangen.
VAN VEEN: Ja, ich habe Gesang und Geige studiert. Geplant war eine klassische Konzertkarriere. Daß dies nicht mein Ziel war, wußte ich auch nicht so genau. Nur in meinem Bauch war eine kleine Unruhe. Ich habe mich damals mit Sport getröstet. Anscheinend habe ich damals verdrängt, daß ich Clown sein wollteflch mußte erst auf der Bühne stehen, um zu wissen, was ich wollte. Da war ich plötzlich immens glücklich - so wie ein Schmetterling, der aus dem Kokon flüchtet.

COSMOPOLITAN: Wie ist es Ihnen eigentlich gelungen, so schnell auf die Bühne zu kommen?
VAN VEEN: Das war damals nur eine Abschlußfeier, eine Art Kabarett. Aber weil ich so glücklich darüber war, habe ich mit meinen Freunden ein ganzes Programm entwickelt, und ein paar Monate später war mein Debüt in meiner Heimatstadt Utrecht. Das war damals eine ganz spontane Show. Eine Art Jam Session. Ich zog einfach drei Stunden auf der Bühne herum, schrie, tanzte. Es w'ar für mich ein Akt der Befreiung. Ganz naiv, wunderschön ...

COSMOPOLITAN: Und, waren Sie gleich erfolgreich?
VAN VEEN: Kann man nicht sagen. Die Zeitungen schrieben am nächsten Tag: "Das war die talentierteste Katastrophe, die wir je gesehen haben." Ich w'ar total unglücklich und sehr verletzt. Ich fuhr dann Fahrrad, tief über den Lenker gebeugt,meine Geige unter dem Mantel verborgen, damit mich niemand erkennt - denn ich dachte, ganz Holland hat diese Kritik gelesen. Jeder weiß jetzt, wie blöd der van Veen ist. Na gut, dann habe ich nach und nach gelernt, wie man eine Bühnen-Show aufbaut. Und seitdem hat sich eigentlich nichts geändert.

COSMOPÖLITAN: Schüchtern darf man nicht sein, um so einfach auf die Bühne zu springen ...
VAN VEEN: Ich bin schüchtern. Aber ich bin auch unbefangen. Ich folge immer meinem Weg. Ich sage immer noch, was mir auf dem Herzen liegt, und springe immer noch einen Meter hoch, wenn ich Lust dazu habe. Obwohl es vielleicht praktischer, vernünftiger und intelligenter ist, nur 20 Zentimeter hoch zu springen. Ich bin immer noch vogelfreier Künstler, glaube ich. Und ich reise so ein bißchen um die Welt mit meinen Gedanken und Träumen. Die haben immer wenig damit zu tun, was en vogue ist. Ich singe, was mich gerade beschäftigt.

COSMOPOLITAN: Und das hat doch wohl immer mit Ihren Gefühlen zu tun, die Sie sehr offen darlegen?
VAN VEEN: Ja. Man soll alles sagen, was man fühlt. Man muß nur vorher fragen: "Darf ich sagen, was ich fühle?" Wenn dann der andere sagt: "Nein, ich hab' jetzt keine Zeit", dann hat es keinen Sinn.

COSMOPOLITAN: Setzen Sie sich mit dieser Offenheit nicht auch Verletzungen aus?
VAN VEEN: Verletzt wird man sowieso. Immer. Ich versuche, mich nicht zu verteidigen, obwohl das sehr schwierig ist, aber in dem Moment, wo ich versuche, mich zu verteidigen, bin ich verletzbar. Wenn ich dagegen mit offenen Armen und offener Seele auf der Bühne stehe oder Menschen begegne, habe ich selten Probleme. Nur wenn ich Angst habe oder denke, daß ich vorsichtig sein muß, dann geht es mir schlecht, weil ich dann nicht kreativ bin. In meinem Beruf muß ich Mut haben - es geht immer um das Aufmachen von verschlossenen Türen.

COSMOPOLITAN: So wie Sie sich in Ihren Texten und auf der Bühne auch mit dem Tod auseinandersetzen?
VAN VEEN: Ja. Ich sage, daß der Tod im Theater ist. Er kann neben dir sitzen. Maskiert als dein Geliebter, aber er kann sich auch in einem Kokon in deiner Brust befinden. Ich erzähle solche Sachen, um ein klareres Bewußtsein zu kreieren. Ich möchte, daß man sich damit beschäftigt. COSMOPOLITAN: Den Tod verdrängen die meisten ganz gern ...

VAN VEEN: Wenn du ihn nicht verdrängst, wird dein Leben viel länger und schöner. Wenn du weißt, mir bleiben noch drei Stunden, genießt du diese drei Stunden viel mehr. Mehr als wenn du weißt, du kannst in vier Stunden wieder fern- sehen ...

COSMOPOLITAN: Möchten Sie denn wissen, wann Sie sterben?
VAN VEEN: Ich weiß es. Ich sage es aber nicht, denn das wäre blöd. Alle Menschen wissen es - tief in sich. Und das ist gut so. Wir wissen, wir haben ein Gewissen. Und nur, wenn wir das Gewissen negieren, geht es uns schlecht. Wenn man den Mensch in Körper, Geist und Seele teilt - dann kann ich Körper und Geist nicht vertrauen, die sind materiell. Ich kann nur der Seele vertrauen. Sie sagt immer die Wahrheit, aber die willst du ja nicht wissen. Weil das die materielle Situation irritiert. Du weißt, ob jemand dich liebt oder nicht - das weißt du einfach. Selbst wenn er sagt, daß er es tut, weiß dein Bauch, "er liebt mich nicht" ...

COSMOPOLITAN: Woher nehmen Sie die Kraft, sich mit Gefühlen so intensiv auseinanderzusetzen?
VAN VEEN: Natürlich habe ich auch Schiß. Aber immer, wenn ich versuche, diese Angst zu überwinden, dann bekomme ich etwas sehr Schönes zurück. Das ist eigentlich das Schwierigste überhaupt - keine Angst zu haben.

COSMOPOLITAN: Aber zwingt uns Angst nicht auch, nachzudenken? Ist sie nicht als Motor brauchbar?
VAN VEEN: Angst ist kein guter Grund, über den Tod nachzudenken. Ich glaube eines fest: Du kannst nicht sterben, wenn du eine Verantwortlichkeit hast. Mal von so einem blöden Schicksal abgesehen, daß einem ein Stein vom Himmel auf den Kopf fällt. Ich schaue sehr oft nach oben (erlacht und schaut nach oben). Aber im Ernst: Man stirbt nicht, wenn man liebt.

COSMOPOLITAN: Das wäre schön ...
VAN VEEN: Doch wirklich. Es geht um so "kleine" Sachen. Solange ich jetzt hier über die Gracht schaue und denke, was fährt denn da unglaublich Schönes vorbei - und ich möchte am liebsten ins Wasser springen, um dort hinzukommen, so lange gibt es keinen Tod. Wenn ich allerdings denke, da ist sicher wieder jemand mit einem Messer, oder wenn ich Angst habe, dich zu einem Tee einzuladen, weil ich dann eine Kugel in den Rücken bekommen könnte - das ist der Tod. Hier gleich an der Fensterbank.

COSMOPOLITAN: Sie haben vier Kinder - da scheinen Sie ja auch optimistisch an die Zukunft zu glauben?
VAN VEEN: Ich meine das jetzt tatsächlich so, wie ich es sage: Wenn ich zu meiner Frau und zu meinen Kindern gehe, das ist für mich die Zukunft. Das macht mich alles glücklich. Die Kinder wissen oft weisere und intelligentere Antworten als ich. Kinder sind so pragmatisch, konkret und ganz klar.

COSMOPOLITAN: Könnten Sie sich ein Leben ohne Kinder überhaupt vorstellen?
VAN VEEN: Nein. Allein die Vorstellung, wie die abends in einer Kuhle im Bett liegen, ist schon so gewaltig schön. Ein Kind springt ins Bett und liegt da - breit. Die Erwachsenen, die ich schlafen gesehen habe, hielten sich fast alle an etwas Unsichtbarem fest. Kinder schlafen so schön. Die treiben im Bett.

COSMOPOLITAN: Sie haben mal gesagt: "Schwanger sein war' schön- endlich unabhängig." War das nur ein Gag oder steckt mehr dahinter?
VAN VEEN: Ich habe das wirklich gedacht, als meine Frau schwanger war. Sie war nie ganz da. Diese traumhafte Situation - das muß ein unglaublich schönes Gefühl sein, ein lebendes Wesen in seinem Bauch zu haben. Seither habe ich auch das Gefühl von Zukunft in bezug auf Frauen. Ich glaube, die Zukunft ist weiblich ...



COSMOPOLITAN: Inwiefern?

VAN VEEN: Ich traue Frauen viel mehr als Männern. Das ist einfach eine Erfahrung von mir. Frauen haben in sich lebensbeschützende Kräfte. Wir Männer sind äußerlich. Auch der Liebesakt ist typisch: Wir gehen von außen nach innen. Für Frauen ist fast alles eine Implosion, für uns Männer eine Explosion. Beides zusammen, das wäre natürlich wunderschön. Ja, leider können Männer eine Schwangerschaft nur ahnen.

COSMOPOLITAN: Zumindest ist die Schwangerschaft ein kreativer Akt, der Männern verschlossen bleibt.
VAN VEEN: Ja, wir können nicht konkret Leben schaffen, so kreativ wir auch sind. Aber ich fürchte die Zukunft - ich mach' jetzt wieder Blödsinn: In ein paar hundert Jahren braucht man uns nicht mehr, dann wird alles mit Chromosomenketten aneinandergekoppelt ... Dann sind wir nur noch da, um Koffer zu tragen ...

COSMOPOLITAN: Sehen Sie die Frauen nicht etwas zu idealistisch? Es gab auch KZ- Aufseherinnen.
VAN VEEN: Das sind Ausnahmen. Eine Armee aus lauter Frauen könnte nicht funktionieren. Napoleon ist nicht mit 450000 Frauen nach Rußland gegangen. Mit Frauen geht so was nicht. Die sagen: "Mach's selber, du Arsch, bist du total blöd?" Das ist der Unterschied. Für mich kann die Emanzipation gar nicht schnell genug stattfinden.

COSMOPOLITAN: Sind Sie in Ihrer Ehe auch so emanzipiert - oder finden da doch die kleinen Machtspielchen statt?
VAN VEEN: Ich hoffe es nicht, aber ich bin sicher, daß es so ist. Nein, ich bin ein Mann mit all diesen eingewurzelten, tausendjährigen Merkwürdigkeiten, die wir Männer anscheinend mit uns schleppen. Aber ... wir bauen das langsam ab ... (Über seinen letzten Satz fängt er an zu grinsen. Wir müssen beide lachen.)
VAN VEEN: Na, so einfach ist das nicht.

COSMOPOLITAN: Sie haben immer wie der politische Anspielungen in Ihrem Programm und in Ihren Liedern. Betrachten Sie es als Ihre Aufgabe, politisch das Bewußtsein zu verändern?
VAN VEEN: Ich war nie - und bin auch immer noch nicht - politisch in dem Sinn, was man unter politisch versteht. Kabarett, politisches Theater, das war nie mein Stil. Ich glaube, daß Politik prinzipiell unaufrichtig ist. Ich kann auf diese Art nicht kommunizieren. Bei mir ist es Ja als Ja, oder Nein als Nein, aber nicht "Ja, aber ...". Oder "Nein, vielleicht".

COSMOPOLITAN: Dennoch singen Sie Lieder wie "Die Bombe fällt nie".
VAN VEEN: Das hat weniger mit Politik als mit Denkkraft zu tun. Diese ganze Rüstung ist im Grunde genommen eine theoretische Bedrohung, ein Papierkrieg. Angeblich will niemand die Bombe je gebrauchen. Dann ist doch meine logische Antwort darauf: Man braucht den ganzen Scheiß nicht. Zu wissen, wie man diese Bomben baut, ist schon dekadent genug. In einer Welt, wo Dreiviertel der Bevölkerung an Hunger stirbt! Aber die brauchen diese Angst vor der Bombe, um einander zu manipulieren. Das braucht der Staat, das braucht die Kirche, das braucht's anscheinend in der Ehe und auch bei Frau-Frau- und Mann-Mann-Beziehungen ...

COSMOPOLITAN: Diese Machtstrukturen greifen Sie ja immer wieder an - also doch ein bißchen politisch?

VAN VEEN: Das ist die Clownsarbeit, die Kulturarbeit. Die Zwischentöne. Das Verändern des Bewußtseins. Gegen den herrschenden Zynismus, den ich so abstoßend finde. Aber da muß man nicht auf der politischen Ebene kommunizieren. Da muß man eine Ebene finden, die sich nicht verteidigt. Und die auch nicht attackiert - die einfach eine viel schönere Alternative bietet.

COSMOPOLITAN: Eine Alternative zur Angst, ohne die Macht - wie Sie sagen - nicht funktionieren würde?
VAN VEEN: Ja. Angst i
st das Schlimmste, was man jemandem antun kann. Und durch diese Angst entwickelt sich eine Volkskrankheit wie Krebs, oder es kommt mit der Macht der Hunger in die Welt: Denn als man zu Beginn dieses Jahrhunderts anfing, Stacheldraht zu ziehen zwischen afrikanischen Ländern, weil Deutsche, Franzosen und Engländer diese Gebiete haben wollten, da ging es los mit dem Hunger. Plötzlich konnten die Nomaden nicht mehr von links nach rechts, die Schafe nicht mehr grasen, wo sie es gewohnt waren. Alles ging kaputt - und das hatte mit dem Machtdenken zu tun. Das vernichtet unsere Gesellschaft langsam, aber sicher.

COSMOPOLITAN: Wie sehen Sie die Zusammenhänge zwischen Krankheit und Angst?
VAN VEEN: Angst ist natürlich nicht die
Ursache einer Krankheit. Diese esoterische Auffassung lehne ich ab. Krankheiten sind chemische Prozesse.

COSMOPOLITAN: Wie haben Sie es nur geschafft, in den letzten 20 Jahren nicht zu resignieren?
VAN VEEN: Weil man ganz konkrete Resultate sieht, in einem ganz kleinen, engen Bereich. Ich bin davon überzeugt, daß ein Mensch viel mehr kann, als man glaubt. Gestern nacht hatte ich nach der Vorstellung ein Gespräch mit einer Frauengruppe. Die wußten, daß ich in allen möglichen Komitees bin und wollten sich auch engagieren. Und dann haben wir bis fünf Uhr früh diskutiert, was man tun könnte. Eine Frau wird jetzt jede Woche zwei alte Leute besuchen, die niemand sonst haben. Auf einem ganz kleinen Gebiet kann man für sich und andere Leute was bewirken. Diese kleinen Initiativen, die tun Wunder.

COSMOPOLITAN: Sie engagieren sich aber auch in Organisationen.
VAN VEEN: Ich habe seit acht Jahren eine Hauptaktivität, das ist eine Stiftung, die heißt "Colombine". Wir haben als Wahrzei- chen ein vierblättriges Kleeblatt und arbeiten an vier Projekten: eine Frauenkooperative auf den Philippinen, die eine eigene Fabrik hat, eine Aktion im Norden von Ghana, wo wir Bewässerungsanlagen in Ordnung bringen; drittens finanzieren wir an der Universität Utrecht einen Lehrstuhl für Friedensforschung mit, und viertens unterstützen wir die Leukämieforschung. Diese Kombination ist nicht zufällig: Wir wollen auch klarmachen, daß es Zusammenhänge gibt: eben zwischen Hunger und Macht, zwischen Frauenunterdrückung und Friedensforschung ...

COSMOPOLITAN: Sie sind schon so lange erfolgreich - haben Sie noch Vorbilder?
VAN VEEN: Ja, Menschen, die nicht im Trend sind .Chaplin war nie ein T rend. Der hat sich immer mit den Dingen beschäftigt, die zwischen vier Augen geschehen. Sie und er, er und er. Und das ist seine große Kraft gewesen, wodurch er zeitlos ist. Oder Fellini: Er macht grandiose ironische Filme über das menschliche Verhalten. Buster Keaton war auch ein Genie. Die alle machten und machen Filme über Probleme, die nie aufhören, weil die Leute nicht aus der Vergangenheit lernen.

COSMOPOLITAN: Woher beziehen Sie Ihre Ideen - auch aus dem eigenen Leben?
VAN VEEN: Ich sehe was, und dann mache ich's. Ich weiß nicht, was Inspiration ist - ich hab' keine Ahnung, was Phantasie ist. Es gibt Erinnerung. Und es gibt die Fähigkeit, Erinnerungen zu kombinieren, und das sieht dann phantasievoll aus, ist aber keine Phantasie. Es passieren so viele schöne, idiotische, absurde Sachen im Leben - wenn man die erzählt, sagen die anderen: "Der hat eine reiche Phantasie." Jeden Tag erlebe ich Sachen, die es wert sind, erzählt zu werden. Ich brauche nur aus dem Fenster zu schauen - es ist enorm, was sich alles abspielt ...

COSMOPOLITAN: Sie verarbeiten das, was Sie sehen, in so vielen verschiedenen Medien - Bücher, Fernsehen, Film, Musik, Bühne. Was machen Sie am liebsten?
VAN VEEN: Auf der Bühne stehen. Das ist das schönste Gefühl.

COSMOPOLITAN: Kann man dieses Gefühl beschreiben?
VAN VEEN: Ja ... es ist wie essen, trinken, Musik hören. Ein wunderschönes, sinnliches Gefühl. Und wenn einem auf der Bühne etwas gelingt, da fliegen dann eine Billion Schmetterlinge in deinem Körper herum. Das ist, wie wenn ein Sportler ein Tor schießt, wie wenn jemand kommt, den man nicht erwartet hat. wenn man einen Brief kriegt ... es ist dieses wunderschöne Gefühl ... es ist eine Reihe von glücklichen Momenten.

COSMOPOLITAN: Sie sind in Amerika aufgetreten, fast überall in Europa. Wie unterscheidet sich das^ Publikum in den. einzelnen Ländern?
VAN VEEN: Es sind feine Details, aber es gibt Unterschiede. Um ein ganz blödes Beispiel zu geben: Das Wort "Mauer" hat in Berlin eine andere Bedeutung als in Paris. Diese Unterschiede reizen mich gerade Es war immer mein Traum, durch die Welt tu reisen und überall meine Geschichten zu erzählen - und überall gibt es wieJetfnehe Geschichten zu erleben.

COSMOPOLITAN: Nehmen Sie Ihre Familie auf Reisen mit?
VAN VEEN: Nie. Ich kann sehr gut allein sein. Ich brauche das Alleinsein in Hotelzimmern. Das macht mich traurig und fröhlich. Dort fällt mir viel ein. dort schreibe ich nachts meine Gedanken auf. Wenn ich zu Hause bin, gibt es für mich meinen Beruf nicht mehr. Nur Frau, Kinder, Garten, Küche ... Ich kanri's sehr gut ohne Arbeit aushalten.

COSMOPOLITAN: Ihre Auftritte sind sehr anstrengend - wie halten Sie sich fit?
VAN VEEN: Ich trainiere nicht, aber ich spiele Fußball und Tennis, trinke fast keinen Alkohol und passe sehr auf, was ich esse. Sehr wenig Fleisch und sehr viel Gemüse und Fisch.

COSMOPOLITAN: Und wovon träumen Sie, wenn Sie nicht öffentlich träumen?
VAN VEEN: Vom Alter. Wenn ich alt bin, dann gehe ich mit meinen Freunden wandern. Dann reden wir über das, was war, und über das, was hätte sein können. Ich freue mich wahnsinnig auf den Herbst des Lebens. Da gibt es so viele Leute, mit denen ich wahnsinnig viel Zeit verbringen möchte. Das ist, glaube ich, das Schönste, was es gibt. Ich hab' das Glück, gute Freunde zu haben. Weißt du was? Ich genieße das Leben sehr ... ^



Vivian Naefe