Manager Magazin
Stefanie von Viereck 307

UNTERNEHMEN /Harlekijn Holland

Traumtänzer auf festem Boden

mrz 1986

Als Künstler verzaubert Herman van Veen die Zuschauer mit verträumten, humorvollen und kritischen Darstellungen. In seiner Nebenrolle als Geschäftsmann produziert der Holländer erfolgreich Schallplatten, verlegt Bücher und organisiert Tourneen.


Auf der Bühne scheint er den Boden kaum zu berühren. Der Holländer Herman van Veen, Pantomime, Narr, Poet, Pia nist und Liedermacher, wechselt leichtfüßig seine zahlreichen Rollen.
Für Augenblicke gleicht er einem Traumtänzer in den Wolken. Schon im nächsten Moment mimt er den rotnasigen Zirkusclown, verliert sich als sentimentaler Lyriker, unterbricht abrupt mit einer Blödelei in Otto-Manier, stimmt den an klagenden Gesang der Weltverbesserer an und bringt dann als agiler Dirigent das Publikum in Schwung.

Hinter den Kulissen spielt das Multi-Talent van Veen noch eine ganz andere Rolle: "Direktor einer GmbH" nannte er sich in seinem Reisepaß, bis in Holland die Pflicht der Berufsangabe aufgehoben wurde. Der Künstler in vielfältigen artistischen Spielarten ist im Nebenberuf Alleininhaber der Multimedia- Produktionsgesellschaft Harlekijn Holland. 1968 gründete der heute 40 Jahre alte van Veen das Unternehmen, erwarb in Westbroek, zwischen Utrecht und Hilversum, ein altes Gemeindehaus und erklärte das ländliche Dorf mit kaum mehr als 1000 Einwohnern zum Sitz seiner Firma.

Der Geschäftszweck war zunächst ungewiß. "Früher wollte man, daß ich mich spezialisiere", erinnert sich van Veen. Aber der Musikstudent am Konservatorium in Utrecht ließ sich nicht in die bürgerliche Ordnung pressen, und genau so wenig mochte der Unternehmer die Aktivitäten seiner Gesellschaft eindeutig festlegen. Van Veen: "Den Statuten nach könnten wir auch Hotels, Schwimmbäder oder Restaurants betreiben." Tatsächlich aber werden in Westbroek Schallplatten, Bücher, Theaterstücke und Filme produziert. Der Gesamtumsatz der Kulturfabrik Harlekijn beträgt rund zehn Millionen Mark im Jahr. Knapp 20 Mitarbeiter sind fest angestellt, und während der Tourneen wächst der Stab - Orchester, Schauspieler, Techniker und Fahrer - beträchtlich. Für die Märchenoper "Die seltsamen Abenteuer des Alfred Jodocus Quak", 1985 im Hamburger Schauspielhaus zum ersten Mal aufgeführt, heuerte van Veen mehr als 100 Leute an.

Die Organisation seiner Konzertreisen zählt seit Anbeginn zu den Hauptaktivitäten der Gesellschaft. Die Firma Harlekijn ist Arbeitgeber, Vertragspartner für die Veranstalter und Eigentümer der mobilen Ausrüstung - Verstärker, Instrumente, Bühnenausstattung und Kostüme - im Wert von rund einer halben Million Mark.

Die Verantwortung teilen sich als gleichberechtigte Geschäftsführer van Veen und Ron van Eeden (37), der als gelernter Wirtschaftsprüfer seit acht Jahren über die Finanzen wacht. Van Eeden kalkuliert im Durchschnitt pro Abendveranstaltung Einnahmen von 24 000 Mark. Nach der Abrechnung bleibt für Harlekijn jedoch kaum etwas in der Kasse übrig. An die 6000 Mark erhält der Veranstalter, und vom Rest müssen Löhne, Transport und Hotelkosten bezahlt werden. Die Tournee bringt nur Gewinn, wenn sich danach auch die Schallplatten gut verkaufen - oder wenn der Vertragspartner ein Angebot besonderer Art parat hat: Für das jüngste Konzert in Ost-Berlin wurde van Veen nicht mit Bargeld entlohnt, sondern die devisen; schwachen DDR-Behörden besannen sich auf das traditionelle Tauschgeschäft und boten im Gegenzug einen gebrauchten Bösen dorfer Flügel im Neuwert von immerhin rund 60 000 Mark.

Van Veen kam die Offerte gelegen, denn für die Produktion seiner Platten ist ihm das Beste gerade gut genug - für seine Qualitätsansprüche muß das akustische Umfeld stimmen. Die Aufnahmen finden deshalb nur selten im Studio statt, sondern "immer dort, wo es am besten klingt" (van Eeden). Und wenn die geeignete Kirche in Paris steht, reist das Team eben dorthin.

Ein solcher Anspruch gilt jedoch keineswegs allein für van Veens eigene Werke. Die Untergesellschaft Harlekijn Holland Productions B.V., an der heute zu je einem Drittel van Veen, van Eeden und der technische Leiter beteiligt sind, hat seit 1968 nach dem gleichen Muster rund 200 klassische Titel produziert.
Ohne die Klassiker könnte van Veen seine Life-Platten kaum in Eigenregie hersteilen. Die Fremdaufnahmen garantieren eine wirtschaftliche Kapazitätsauslastung der technischen Anlagen von Holland Productions. Der Artist hat sich mit dieser Konstruktion schon frühzeitig tig als versierter Geschäftsmann profiliert.

Den großen Coup haben die Holländer mit ihrer Produktionsfirma allerdings erst vor zwei Jahren gelandet. Für rund 400 000 Mark installierten sie in Westbroek eine Anlage, auf der analog aufgenommene alte Schallplatten digital gemischt werden, so daß die alten Stücke dann auf den modernen Compact-Disc-Geräten gespielt werden können. "Wir haben da eine richtige Marktlücke entdeckt", freut sich van Eeden, "neben Philips sind wir die einzigen, die das in Holland können." Und weil der große Konkurrent beträchtliche Overheads finanzieren muß, kostet die Digitalmischung bei Harlekijn rund 40 Prozent weniger als bei Philips. "Fast alle großen holländischen Schallplattenfirmen", so van Eeden, "sind deshalb unsere Kunden geworden."

Die Geschäftskontakte sind je-doch nicht neu. Selbst renommierte Unternehmen wie RCA und die Deutsche Grammophon zählen schon lange zu van Eedens Vertragspartnern, denn sie organisieren die Vermarktung der von Harlekijn produzierten Platten. Mit etwa einem Dutzend Schallplattenfirmen hat Holland Productions mittlerweile Vertriebsabkommen geschlos- "Wir haben da eine richtige Marktlücke entdeckt", freut sich van Eeden, "neben Philips sind wir die einzigen, die das in Holland können." Und weil der große Konkurrent beträchtliche Overheads finanzieren muß, kostet die Digitalmischung bei Harlekijn rund 40 Prozent weniger als bei Philips. "Fast alle großen holländischen Schallplattenfirmen", so van Eeden, "sind deshalb unsere Kunden geworden."

Die Geschäftskontakte sind jedoch nicht neu. Selbst renommierte Unternehmen wie RCA und die Deutsche Grammophon zählen schon lange zu van Eedens Vertragspartnern, denn sie organisieren die Vermarktung der von Harlekijn produzierten Platten. Mit etwa einem Dutzend Schallplattenfirmen hat Holland Productions mittlerweile Vertriebsabkommen geschlossen. Der Umsatz der Produktionsfirma liegt deshalb nur bei rund 1,5 Millionen Mark pro Jahr. "Wenn wir die Vermarktung selbst übernehmen würden", rechnet van Eeden vor, "kämen wir ganz schnell auf 15 Millionen." Harlekijn und Co. wäre das jedoch ein paar Schuhnummern zu groß.
Eigennütziges Gewinnstreben ist in Westbroek ohnehin verpönt. Die Geschäftsführer van Veen und van Eeden haben für sich selbst ein Jahresgehalt von "weniger als 100 000 Mark" (van Eeden) festgesetzt. Und damit der Kleinkonzern überschaubar bleibt, wollen sie nicht einmal die lukrative Digitalmischung weiter ausbauen, obwohl die Nachfrage ihre Kapazitäten bei weitem übersteigt. Nach ähnlichen Prinzipien führt das Gespann auch den 1981 gegründeten Buchverlag, der zu 50 Prozent Harlekijn Holland und zur anderen Hälfte der Buchdruckerei Groot gehört. Etwa 40 Titel, im wesentlichen Kinderbücher, sind dort bisher erschienen. Die Jungverleger geben sich mit einem Jahresgewinn von 10 000 bis 20 000 Mark zufrieden. "Wir könnten mehr", weiß van Eeden. Aber Harlekijn geht lieber ein höheres Risiko ein: Die Holländer wollen jungen, unbekannten Schriftstellern eine Chance geben.

Außer van Veen, dem auch als Schreiber der Erfolg nicht versagt blieb, publizieren in Westbroek kaum namhafte Autoren, und ob die Auflage die Kosten decken wird, ist meistens ungewiß. Die Multimedia-Gesellschaft bastelt jetzt an einem weiteren Printprodukt: Unter dem Titel "Pierrot" wird zur Zeit ein neues Kunst- und Kulturmagazin in deutscher Sprache getestet.
Schon von 1978 bis 1981 hatte van Veen ein ähnliches Projekt im Repertoire. Die Zeitschrift "Harlekijn" erschien alle drei Monate und erreichte in Spitzenzeiten in der Bundesrepublik immerhin eine Auflage von knapp 60 000 Exemplaren. Den anzeigenfeindli chen Holländern ging dennoch bald das Geld aus, und nach der Übernahme durch die Hamburger Verlagsgesellschaft Adolff mußte das Magazin später eingestellt werden. Van Veen will an dem neuen Blatt langfristig nur noch künstlerisch mitwirken und sucht einen professionellen Finanzier. "Uns fehlen die Etatmittel, um das bundesweit aufzuziehen", weiß Finanzchef van Eeden.

Obwohl die Philosophie des Hauses zu manchen Engpässen führt, bleibt van Veen in der Regel konsequent. So weist er denn auch einträgliche Werbespots weit von sich und genießt den Luxus, sich die unliebsame Identifikation mit bestimmten Produkten ersparen zu können. Kompromisse machen die Holländer nur, wenn es um Sponsoren geht. So hat die Nationale Nederlan- den, die größte holländische Versicherungsgesellschaft, eine Tournee an den New Yorker Broadway mit fast einer halben Million Mark unterstützt - und durfte dafür mit auf dem Plakat stehen und im Programm Anzeigen schalten.

Ähnliches gilt für die niederländische Fluglinie KLM. Wenn die Luftfahrtmanager ihr Netz um einen neuen Ort erweitern wollen, gibt van Veen dort ein Eröffnungskonzert. Dafür ist der Transport des fliegenden Holländers und seiner Crew zum nächsten Spielort umsonst.
Selbst für die , Arbeitskleidung" während der Tournee stehen die Sponsoren Schlange. Auf der letzten Konzertreise lieferte der US-Her- steller Lois die Jeans, und zur Zeit tragen van Veens Techniker und Musiker Sweatshirts und Turnschuhe von Nike.
Von staatlichen Subventionen dagegen hat Harlekijn bisher kaum profitiert. Die holländischen Kulturbehörden unterstützten das erste Paris-Gastspiel mit 25 000 Mark, und die Hamburger Kulturbehörde garantierte Einnahmen von 250 000 Mark für 23 Vorstellungen der Ente Quak. "So eine Garantie", spottet van Eeden, "hätte ich auch privat geben können."

Das geschäftstüchtige Team ist auf Staatsgelder ohnehin längst nicht mehr angewiesen. Im Gegenteil: Häufig schlüpft van Veen selbst in die Rolle des Helfers und setzt seinen finanziellen Erfolg gezielt für soziale Zwecke ein.
Seit fast 18 Jahren ist er als Unicef-Botschafter aktiv. Die Organisation kann mit zusätzlichen Jahreseinnahmen von 50 000 Mark rechnen, weil van Veen auf die Erträge einer Vorstellung in der New Yorker Carnegie Hall verzichtet oder die Fernsehrechte für eine Theaterpremiere an Unicef abtritt.

Neben dem Unicef-Engagement hat der Künstler eine eigene Stiftung gegründet, die gezielt Projekte in der dritten Welt unterstützt. "Colombine" existiert seit 1975. Gleich Harlekijn und Pierrot ist der Name der Commedia dell'arte entlehnt, in der Colombine die listige Partnerin des Harlekin spielte. Der Jahresetat der Stiftung setzt sich aus Spenden und Benefizveranstaltungen zusammen und summiert sich immerhin auf durchschnittlich 350 000 Mark. Dem Vorstand gehören bekannte Persönlichkeiten wie beispielsweise die holländische Prinzessin Irene an.

Das Attribut "geschäftstüchtig" ist denn auch für van Veen alles andere als ein Schimpfwort. Nur müsse das Konzept stimmen, und seine Arbeit dürfe sich nicht allein am Gewinn orientieren. Das Image des Träumers ist ihm verhaßt - den vielzitierten Ausspruch "Ich stehe fest mit beiden Beinen in den Wolken" will er nie getan haben.

Der Künstler van Veen sieht sich als Realist. Er schöpft nicht aus einer anderen Welt, sondern er arbeitet mit der Präzision eines Wissenschaftlers, der die Wirklichkeit unter ein Mikroskop legt und in ihrer überdimensionalen Vergrößerung phantastische Verzerrungen entdeckt.


"In meinen Träumen", sagt Herman van Veen, "wird man wach."



Stefanie von Viereck