Audio Musik Magazin
Frank-Michael Goldmann

Multi-Talent

00 maart 1082

Das Zimmer ist eher ein Loch, kaum sechs Quadratmeter groß, die Einrichtung komfortabel wie in einem Obdachlosen-Asyl. Eine weinrote abgewetzte Liege, ein früher wohl weißes Waschbecken an der Wand, zwei beinharte Holzstühle und ein rostiger Stahlrohrtisch, wie man sie in Gartenlokalen findet. Das war's dann auch. Draußen an der Tür hängt schief an einem Bindfaden ein Plastikschild: "Künstlergarderobe".


Herman van Veen, Hollands bester Entertainer, wartet hier auf seinen Auftritt. Zwischen Sound-Check und dem abendlichen Konzert findet der 36jährige Liedermacher mit dem gelichteten, blonden Haar Zeit, über sich und seine Musik, über Gott und die Welt zu sprechen.

Beispielsweise, als was er sich selbst sieht: als Lieder- oder Filmemacher, als Buchverleger oder Textdichter, als Sänger, Komponist, Plattenproduzent, Theaterregisseur oder Fernsehmoderator. Das Multi-Talent braucht nicht zu überlegen:
"Ich bin Musiker. Die Musik ist das einzige, was ich wirk lich perfekt beherrsche. Musik habe ich von Grund auf studiert. Alles andere habe ich mir autodidaktisch angeeignet. Wenn ich Filme mache oder Bücher schreibe, dann nicht, um perfekte Produkte abzuliefem, sondern um andere Ausdrucksmöglichkeiten für meine eigene Unzulänglichkeit, für meine Träume und meine Ängste zu finden. Geld kann ich damit nicht verdienen."

Geld hat der lange Blonde mit den sanften Tönen dafür reichlich mit bisher 50 erschienenen Langspielplatten gescheffelt. Die meisten nahm er in seiner Mutterspra che auf, immerhin 13 auch mit deutschen Texten.

"Ich singe viel lieber in Deutsch. Die deutsche Sprache ist sanfter und formbarer, als das Holländische mit seinen Chrrrreis und Chrrrros."

Doch obwohl seine Platten Millionenumsätze machen, ist der Mann aus dem dreckigsten Stadtteil Utrechts nicht sehr reich geworden.

"Ich gebe sehr viel Geld für andere Menschen aus, manchmal zuviel. Ich selbst brauche nicht viel zum Leben. Ich trage immer noch die gleichen Unterhosen, wie vor 21 Jahren. Mir reichen ein Bett, ein Koffer und Rasierzeug."

Das hört sich an wie die Phrasen, die jeder zweite Star mit Dollar- oder Mark-Millionen im Kreuz drischt. Dem Vater von drei Kindern nimmt man sie jedoch ab. In keinem Augenblick kommen Zweifel an der Ehrlichkeit dieses Mannes, der auf seinem harten Stuhl sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, die in einer schlabbrigen, großkarierten Clownhose stecken. Ab und zu nimmt er einen Schluck aus einem Pappbecher mit dampfender, brauner Brühe: Automatenkaffee.
' Van Veens Wohltätigkeit: Er redet nicht nur - er handelt auch.

Nahezu sein gesamtes Einkommen fließt in karitative Kanäle. Seit fast 15 Jahren ist er - wie seine Kolleginnen aus dem Künstlerfach Shirley McLaine und Liv Ullmann - für die Kinderorganisation der Vereinten Nationen, die UNICEF, tätig. 1968 ernannte ihn die Organisation zum Botschafter für die holländische Jugend. 1979 ließ der Mann mit dem Herz für Kinder alle ihm verliehenen "Goldenen Schallplatten" versteigern - zugunsten der UNICEF.

Die Stiftung "Colombine" rief er selbst ins Leben.

"Dergrößte Teil meines Geldes geht in diese Stiftung. 'Colombine' leistet wirklich Entwicklungshilfe auf eine emanzipa- torische Art. Wir errichten Arbeitsstätten in der dritten Welt, Handwerksbetriebe oder kleine Fabriken auf den Philippinen zum Beispiel oder in Indonesien. Die Produkte, die dort entstehen, kaufen wir den Leuten zum Marktpreis ab. Nur so und nicht durch Spendengelder, die einzig den Zweck haben, unser Gewissen zu erleichtern, lernen die Menschen in den armen Ländern, sich selbst zu helfen und selbständig zu werden."

Herman van Veen, der Liedermacher, ist ein sozialer Mensch. Auch ein politischer?
"Bereits durch die Fragen der Journalisten wird man zwangsläufig zu einem politischen Menschen." " Doch Politiker ist er nicht und will es auch nie werden. Über diese Art von Zeitgenossen hat der Holländer seine eigene, wenig schmeichelhafte Meinung.

"Alle haben doch mittlerweile begriffen, daß wir in einer Wahnsinnszeit leben. Raketen hüben, Raketen drüben - dieser bewaffnete Frieden ist wie Krebs. Ich bin fest davon überzeugt, daß diese Welt in ein paar Monaten auseinander knallt, wenn sich nicht schnellstens etwas ändert. Es gibt heute die Möglichkeit, unsere Welt 20mal zu vernichten - soviel Kriegsarsenal haben wir auf gehäuft. Und weil es soviel von dieser Scheiße gibt, läuft alles aus dem Ruder und wir verlieren die Kontrolle. Irgendwann fängt es von selber an zu knallen."

"Es gibt keinen russischen Bauern, der einen amerikanischen Bauern töten würde. Es gibt nur ein paar geistig arme Deppen, die uns in eine Lage bringen, aus der es kein Zurück mehr gibt."

Es ist nicht einfach, mit einem Mann über Musik zu sprechen, der seine Kunst nur als Möglichkeit zur Durchsetzung anderer Ziele begreift. Van Veen, der im Kriegsfall "mit der Geige an die Front gehen wird, um den Feind wegzuspielen", ist mehr als nur irgendein Sänger.

Er ist sanfter, starrsinniger, engagierter Protestler und holländischer Harlekin:
"Ich bin ein Clown, vergessen Sie nie: Alles, was ich sage, ist nur die Ansicht eines Sängers."

Van Veen ist Humanist, Optimist, Realist und Don Quichotte in einer Person.
Der Holländer nippt ein letztes Mal am Pappkaffee und schaut auf die Uhr: "Entschuldigen Sie, es ist jetzt 20 Minuten nach sieben. Ich habe um neun Uhr meinen Auftritt und muß mich vorher noch duschen, umziehen, etwas essen und eine halbe Stunde schlafen. Auf Wiedersehen."


Herman van Veen ist ein Multi-Talent.



Frank-Michael Goldmann