Bunte Wochen Zeitung
Peter H. Jamin

"Man kommt nackt, und man geht nackt"

maart 1977

Noch genau 219 Nächte wird sein Publikum schlafen müssen, dann eröffnet Herman van Veen (Musiker. Schauspieler, Texter, Pantomime) seine Theatertournee durch die Bundesrepublik. BWZ-Redakteur Peter H. Jamin sprach nach einer Aufführung im Kulturzentrum der belgischen Stadt Hasselt mit dem Entertainer, der am liebsten einfach nur als Mitglied einer Künstlertruppe angesehen werden möchte und doch das Sagen hat: "Du, ich und der Hofnarr singen einfach für den Frieden ..."


"Ich singe und schreibe nur über Themen, die mich auch interessieren, und wenn es ein Publikum gibt welches das mitfühlt, dann ist das großartig", sagt Herman van Veen. "Es ist wichtig, daß wir unser Lied gut, ehrlich und von innen heraus singen." .Verhältnisse zwischen Menschen. Angst und solche Sachen", haben seine Texte zum Inhalt. Er singt ein Lied -darüber, daß _man glücklich nebeneinander herleben kann, ohne sich in 80 Jahren überhaupt kennengelernt zu haben oder sich füreinander zu interessieren, aber es gefällt". Und der 31 jährige Holländer weiß, -daß ich im Grunde über Sachen singe, über die schon alle Dichter, Sänger und Schreiber etwas gesagt haben". Doch man beachte: Herman van Veen und seine holländische Musiker-Theatertruppe machen so manchen Stars auf Bühnenbrettem und geschminkten Allerwelt-bekannt-Gesichtem im Fernsehrampenlicht schon lange etwas vor, wenn sie über Gott und die Welt, zärtliche Gefühle, stilles Glück, trautes Heim, klitschnasse Clowns erzählen oder "über Menschen, die nichts zu fressen haben" schreiben - eine sensible Show, ehrlich gemeinte Texte im Theater gesprochen oder auf Schallplatten gesungen.

Herman dreht dem Publikum auch seinen Rücken zu, fasziniert mit Lauten und Worten oder Geschichten, die er so einfach - fast zufällig - erzählt. Nickt er mit dem blonden Lockenkopf, hebt er das Bein - dann bedeutet das etwas, sind diese kurzen Bewegungen Bestandteil einer spannenden Show, die fast ohne Kulissen und Requisiten auskommt und nur von Menschen - eben Herman und Company - lebt.

"Es ist ein Problem für uns, daß wir eine Theatergruppe sind", meint van Veen, der gerne in Fabrikhallen oder auf Marktplätzen auftreten würde. Doch noch fehlt der Gruppe in der Bundesrepublik die Masse des Publikums. "So glaube ich, es ist der richtige Weg, wenn wir uns erst im Theater ein Publikum aufbauen", schießt der Holländer gegen die Fernsehzuschauer: "Durch das Fernsehen kann man das nicht. Da ist ein sehr passives Publikum, das durch eine Tasse Kaffee hindurch auf den Bildschirm guckt - ob es nun interessant ist oder nicht. Durch das Fernsehen kann man nur darauf hinweisen, daß man existiert." Doch im Grunde reichen dem ehemaligen Musiklehrer die 30 Konzerte in drei Jahren: "Wir werden nur langsam in Deutschland bekannt, aber ich habe keine Hast. Ich will nicht Karriere machen oder so. Das interessiert mich nicht, da und nicht anderswo, ich will nur ein bißchen singen und erzählen, was uns beschäftigt."
Dann spricht Herman van Veen über Politik ("aber über die Menschen in der Politik, nicht über politische Systeme, davon verstehe ich zu wenig"), dann berichtet er über Alltagssituationen ("ich versuche mein Herz zwischen Reihe 18 und 24 im Publikumsraum zu legen"), oder er schildert die Begegnung mit Gott ("ich versuche einen Dialog mit den Zuhörern aufzubauen"). Der Holländer, der am 15. März 32 Jahre alt wird, ist "nicht politisch engagiert, aber sozial". Politik bedeutet für ihn "Reden, Manipulieren, aber auch unehrlich sein."

Seinen Gesprächspartnern gegenüber wirkt der Künstler ehrlich, auf der Bühne ebenfalls: "Ich versuche so wenig wie möglich zu verstecken, und verstecke dadurch wahnsinnig viel." Die Offenheit bewahrte sich der Holländer gerade als Autor. In einem autobiographischen Theaterstück, welches in Holland bereits 120mal aufgeführt wurde, beschreibt er seine Jugend in den' 50er und Anfang der 60er Jahre. "Da wird gekämpft und geprügelt und im WC werden Sachen getan, die man heute in Zeitschriften lesen kann."

Der Erinnerungs-Stoff des van Veen soll auch verfilmt werden: "Ich habe mich geprügelt, nicht weil ich es so gern getan habe. Aber man mußte es tun, um Geige spielen zu können. Wenn ich mit meiner Geige durch die Gegend zog, war die einzige Möglichkeit, durch die Menge zu kommen, zu rennen und mit der . Geige zu schlagen. Denn man fand das Geigespielen da total doof." Für das bayerische Fernsehen schrieb der 31jährige sechs Kinderfilme. "Sehr musikalische, phantasievolle Geschichten", sagt der Ex-Musiklehrer. "Ich arbeite gern mit Kindern zusammen. Sie sind so unkompliziert (wir* Erwachsenen sagen das, weil wir so kompliziert sind) und so ehrlich und direkt."

Privatleben kennt der Entertainer Herman. van Veen nicht. "Ich habe zwar noch nie einem Journalisten ein Interview in meiner Wohnung gegeben, weil das "meine kleine Ecke, meine Freiheit ist", erklärt er, "aber was ist Privatleben schon? Man kommt nackt und man geht nackt, ist ein holländisch Sprichwort."



Peter H. Jamin