Tribune
Mario Zeidler

Ein ruheloser Grübler

Gespräch mit Herman van Veen nach seinen gefeierten Konzerten im Berliner Ensemble


Herman van Veen, das niederländische Multitalent, weilte in der vergangenen Woche für sechs Tage in Berlin, gab neun begeistert umjubelte Konzerte. Van Veen brachte bisher mehr als 60 LP. davon 20 in deutscher Sprache, heraus, schrieb mehrere Bücher, komponierte Film- und naliettmusiken. ist Schauspieler, drehte Filme, gibt eine Kinder-zeitschrift heraus. Nach seinem Gastspiel fragten wir ihn:


Seit 20 Jahren stehen Sie auf Bühne Sind Sie zufrieden mit Ihrem Erfolg?

Es ist merkwürdig: Je älter ich werde, um so unsicherer bin ich. Mit 20 habe ich auf der Bühne alles aus mir herausgerufen, was mich bewegte, drängte. Jetzt grüble ich vorher oft lange herum, bin unzufrieden mit mir. Ich habe immer das Gefühl, nur zehn Prozent von dem zu leisten, was ich eigentlich will. Man kann doch nicht einfach ruhig Zusehen in dieser Zeit der atomaren Bedrohung. der latenten Gefahr unserer Selbstvernichtung. Oder wenn ich daran denke, daß tagtäglich mehr als 50 000 Kinder verhungern. macht mich das fast wahnsinnig. Ich bin pessimistischer Realist Singend kann man nichts verändern, das weißich.

Aber in Ihren Konzerten spürt man nichts von Pessimismus. Im Gegenteil.

Tief in mir setze ich auf den menschlichen Verstand, auf die Möglichkeiten eines weltweiten Miteinander-Redens. Manchmal habe ich überhaupt keine Lust, was zu sagen. Doch wenn ich dann auf der Bühne bin und die Leute anschaue und sie mich ansehen, dann findet mit einem Mal statt, was ich zuvor stundenlang zu durchdenken versuche: Ich lese Hoffnung in den Gesichtern, finde Mut, der mich weiterbringt und den ich zurückgeben kann. Das sind meine schönsten Momente. Hier finde ich die Bestätigung, daß meine Auftritte wichtig sind.

Wollten Sie schon immer ein Clown sein?

Ich wollte alles mögliche werden, erst Arzt, später Musiker ... Aber als ich nach meinem Musikstudium mehr zufällig erstmals auf Theaterbrettern stand, war es wie ein Zauber, der mich nicht mehr losließ. Und die Clownerie liegt mir ganz besonders, man kann mit ihr herrliche Brücken schlagen zwischen der Wirklichkeit und einer möglichen Welt. Von einem guten Clown bin ich jedoch noch weit entfernt. Man muß wahrscheinlich uralt werden und riesige Erfahrungen haben, um es zu schaffen, nichts zu tun urd. daher wahnsinnig viel zu bewegen. Insofern habe ich noch eine große Zukunft.

Wie lange spielen Sie schon mit Erik van der Wurff zusammen?

Von Anfang an. Wir haben beide zusammen studiert und uns verbindet eine große Sympathie. Er ist mein erster Mann in der Band, ist Pianist, Komponist, Arrangeur und Dirigent. Ich habe meist einen Wust an Ideen, und van der Wurff muß sie ausbaden. Wenn man so will, bin ich der Lift, und er ist das Haus drumherum. Beide sind wir gespannt, wie lange das noch weiter so gut läuft.

Sind Sie ein ruheloser Typ?

Ja. Wenn ich nicht arbeite, mich nicht irgendwie äußern kann, keinen Plan habe, ist mir unwohl. Ich denke, ein Mensch ohne Ziele ist ein bißchen tot.

Wo finden Sie Entspannung?

Zum Beispiel auf der Bühne. Andere machen Yoga. Ich muß meine Gefühle ausleben — und die Bühne ist ein herrlicher Ort dafür. Man kann phantastisch laut schreien, und das löst enorm. Ich finde jedoch auch anderswo Gelegenheit zum Abreagieren.

Beim Sport?

O ja, ich bin ein fanatischer Fußballer und ein wahnsinnig schneller Rechtsaußen. Das einzige was mich bremst, ist ein zu hoher Rasen.

Wieviel Zeit bleibt für Familie?

Leider zu wenig. Ich habe Kinder, und es hätten noch mehr sein können. Alle vier sind unterschiedlich. Mein Jungster findet es beispielsweise unheimlich blöd, mich auf dem Bildschirm zu sehen, weil er meint,ich sei schon viel zu alt fürs Fernsehn.
Und eigentlich lerne ich von meinen Kindern mehr als sie von mir.'

Wie fanden Sie das DDR Publikum?

Es ist dem französischen ahnlich. Die Leute sitzen erst mal auf ihren Stühlen und warten at liebsten würden sie überhaupt nicht reagieren. Die Zuschauer hier verfolgen sehr konzentriert das Geschehen auf der Bühne - nicht überall ist das so. Jedenfalls hört man die Leute während Konzerts kaum.

Aber hinterher zerstören sie fast das Haus.



Mario Zeidler