Junge Welt (DDR)
Lutz Pehnert

"Ich möchte ein Großer Clown werden"

25 sept 1987

Herman van Veen aus Holland — ein Multitalent, das singt und spielt und tanzt und noch viel mehr tut und, ganz einfach, ein Clown ist, gastiert zum dritten Mal in Berlin. Diesmal mit seiner Kinderoper im Berliner Ensemble


Zwischen 'deinem Auftritt beim 16. Festival des politischen Liedes in der Werner-Seelenbinder-Halle und deinem jetzigen Gastspiel im Berliner Ensemble — mit der Geschichte Jodocus Quak, einer Ente aus dem Großwasserland, die vom Ohnewasserland erfährt, diesem helfen will und Geld sammelt für einen Wassergraben dorthin — liegt mehr als ein Jahr. Was war deine wichtigste Arbeit in dieser Zeit?
Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, einen Film zu drehen. DeT heißt „Die Clowns" und entstand nach einem Buch, das ich geschrieben habe. Und das ist eben die Geschichte von Clowns, die in einer gedachten Zeit mit ihrem Raumschiff „Noah II“ die Erde verlassen haben, weil sich diese sehr verändert hat. Die Leute nur noch mit materiellen Dingen beschäftigt waren und überhaupt keine Lust mehr hatten, zu lachen. Ja, und auf der Erde passierte eine nukleare Katastrophe. Die Leute, die übriggeblieben sind, finden in den Haufen von Ruinen noch Bücher. Darin wird beschrieben, wie die Leute gelacht haben. Aber jetzt wissen sie überhaupt nicht mehr, wie das geht. Dann haben die auch das Wort Clown gefunden und schicken ein SOS ins Universum. Die Clowns, die schon Hunderte Jahre der Clownsnase nach durchs All fliegen und auf verschiedenen Planeten ihre Kunst zeigen, nehmen das auf und kehren zur Erde zurück ... Ja, so geht das. Ich spiele einen Clown und Gisela May meine Schwiegermutter, eine ältere Clownerin, Und der Heinz Rudolf Kunze spielt einen Bankdirektor, der alles unmöglich macht.

Zum erstenmal bist du bei uns in 1982 aufgetreten, hat sich seitdem dein DDR-Bild verändert?
Ich bin in den letzten Jahren sehr oft hier gewesen und habe auch viele Leute kennengelernt. Zum Beispiel habe ich junge Leute getroffen, Musikstudenten, mit denen ich versuche, ein Programm zu machen - mit Schubert-Liedern, dazu habe ich eine Geschichte geschrieben. Ja, und die haben schon richtige, phantastische Arbeit geleistet - das sind ganz großartige Leute. Wir haben geplant, in ein paar Wochen wieder zusammenzukommen. Dann wollen wir das 'in so einer Art Workshop hier aufführen.

Du hast mal gesagt, daß du positive Energie, positive Kollektivität vermitteln willst...
Hab viel schon gesagt.

... Schließt du dich selbst dabei aus, oder bist du da einbezogen? Ich frage das, weil von van Veen auch stammt: Herman steht bei Herman.
Ich steh immer noch da, immer mehr eigentlich. Natürlich bin ich ein Teil dieser Kollektivität. Aber sie ist nur möglich, wenn jeder mit seiner Identität seinen Teil beiträgt. Ich habe festgestellt, daß wir so verdammt wenig voneinander wissen. Daß wir eigentlich auch nicht wissen, was wir einander fragen oder antworten sollen. Aber wenn man richtig etwas verändern will, geht das eigentlich nur mit anderen, indem man das andere Denken kennenlernt. Also die Geschichte von Jodocus Quak ist nicht sa naiv. Sie sagt ganz einfach, daß das Wasser allen gemeinsam gehören müßte. Solange wir das nicht begreifen, können wir alles andere vergessen. Dabei ist das Wasser nur ein Bild für die wichtigen Dinge des Lebens.

Der Herman van Veen von 22 Jahren und der 20 Jahre später -worin unterscheiden sie sich?
Als ich 22 war, hab ich mich nie mit meinem Alter beschäftigt. Jetzt bin ich 42. Ich fange an, darüber nachzudenken. Sollte ich vielleicht nicht tun, aber ich bin mir sehr bewußt, daß ich eine große Zukunft hinter mir habe.

Was liegt noch vor dir? Gibt es für dich noch Unbekanntes, oder sind deine Grenzen bereits sichtbar?
Was ich mir wünsche ist, daß ich immer weiter und immer kleiner arbeiten kann. Kleiner — ich meine eigentlich, daß ich mich sehr nach Stille sehne, verstehst du? Und das optimale Theater wäre für mich: Nichts. Es reicht eine Hand und ein Wort. Es ist ein Spiel der Stille. Ich möchte ein großer Clown werden, ein Clown, der mit ganz wenig Mitteln, die Leute und sich selbst erstaunen kann über den Wahnsinn und dann befreiend lacht. Es hat nichts mit Erfolg zu tun. Erfolg ist phantastisch schön, aber auch sehr beängstigend und gefährlich auch.

Stimmt noch dein Vergleich: Erfolg ist wie ein Bahnhof, man geht rein, kommt raus, Beschäftigung ist, der Zug fährt ein und dann ist es wieder leer...
Ja, das bin ich. Das hat sich nicht verändert. Wenn ich um die Ecke gehe, bin ich weg.


(Das Gespräch führte Lutz Pehnert) PS: Für unsere Solidaritätsauktion stiftete Herman van Veen ein signiertes Live-Doppelalbum, das wir demnächst in unserer Zeitung versteigern werden.



Lutz Pehnert