SHZ
Stephan Richter
"Jetzt werde ich noch ein wenig zornig" 31 december 2009

Herman van Veen, welche guten Vorsätze haben Sie für 2010?
Persönlich oder für die Welt?...
...na, dann fangen wir doch gleich einmal mit der Welt an.
Was könnte ich anderes sagen, als dass wir alle dazu beitragen müssen, dass die Welt ein bisschen friedlicher wird? Klingt abgedroschen, muss aber gesagt werden.
Und persönlich?
Gesundheit natürlich für mich und die ganze Familie. Damit ich als Künstler auch 2010 das machen darf, was ich so gerne mache: singen, musizieren, schreiben.
Apropos Gesundheit. Sie werden 65. Stellt man in dem Alter von Genever auf Kamillientee um?
Entschuldigung, so jung bin ich noch nicht! Pünktlich um 16 Uhr werde ich am Silvestertag einen jungen Genever zu mir nehmen. Danach geht's beim Essen mit Wein weiter, bis danach wieder Genever dran ist. 46 Prozent aller Bundesbürger schreiben Neujahrsgrüße nur noch per E-Mail. Setzen Sie sich zum Jahreswechsel auch an den Computer?
Jetzt muss ich Sie enttäuschen. Ich maile überhaupt nicht. Ich bin nicht Analphabet, sondern Andigibet. Die E-Mails werden von meiner Assistenz erledigt.
Und wie versenden Sie Neujahrsgrüße?
Ich habe sie mit Bleistift geschrieben. Den benutze ich zum Schreiben am liebsten. Oder ich rufe Silvesterabend an.
Blicken wir aufs Jahr 2009. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls haben Sie in Ihrer Heimatstadt Utrecht eine Rede gehalten, in der Sie vor Rechtsextremismus und Intoleranz gewarnt haben und dabei auch die rechtspopulistische niederländische PVV-Partei kritisiert haben. Danach erhielten Sie wüste Beschimpfungen. Sogar Todesdrohungen gab es. Wie haben Sie es verkraftet?
Ich habe Angst gehabt. Es ist schon erschreckend, dass man eine Sorge über bestimmte Entwicklungen nicht mehr äußern kann, ohne gleich derartige Reaktionen hervorzurufen. Der Fanatismus nimmt zu. Dagegen müssen wir uns alle gemeinsam wehren. Da vergesse ich dann auch gerne die eigene Angst. Es geht um mehr. Wir müssen unsere Demokratie verteidigen. Sie ist sicher keine perfekte Staatsform, aber besser als alles andere. Deshalb müssen wir uns wehren, wenn Demokratie und Rechtsstaat unterwandert werden.
Hat sich dieses Erlebnis um Ihre Rede, die in den Niederlanden so große Diskussionen ausgelöst hat, auf Ihre künstlerische Arbeit ausgewirkt?
Ich habe dies in meinen Vorstellungen in Liedern und Texten verarbeitet. Ich ließ eine Figur namens Max erzählen. Dieser Figur Max sagte ich dann auf der Bühne, sie möge doch ruhig bleiben. Jeder Mensch auf der Welt hat das Recht, Vernünftiges und Unvernünftiges zu sagen. Das sei ein Menschenrecht, und deshalb dürfe keiner bedroht werden.
Steigt die Intoleranz in den westlichen Gesellschaften?
Schwer zu sagen. Was zunimmt, ist eine allgemeine Oberflächlichkeit. Egal, um welches Thema es sich handelt, ob um die Wirtschaftskrise, ob um Erderwärmung oder Terrorismus, wir gehen in der Politik, in den Medien, wir gehen mit den meisten Fragen unserer Zeit zu einfach um. Es ist so leicht, schwarz oder weiß zu malen und Dinge zu vereinfachen, nur um die eigene Machtposition zu verstärken. Wer setzt sich noch ernsthaft und in der Tiefe mit Problemen auseinander?
Sie haben sich stets für die Rechte der Kinder eingesetzt, eine eigene Stiftung gegründet, sind als UNICEF-Kinderbotschafter aktiv. Trotzdem steigt die Kinderarmut - sogar in reichen Ländern wie Deutschland. Macht Sie das zornig?
Ja, aber ich resigniere nicht, weil ich weiß, dass hier der Schlüssel für eine bessere Welt liegt. Die meisten Probleme auf der Welt wären gelöst, wenn wir den Kindern in allen Ländern zu ihrem Recht verhelfen würden. Kinder haben ein Recht darauf, satt zu werden. Sie haben ein Recht auf Unterricht, sie haben ein Recht auf Gesundheitsvorsorge, sie haben ein Recht auf eigene Meinung, sie haben ein Recht auf Menschen, die sie begleiten - voran die Eltern. Wenn diese Rechte gewahrt würden, sehe die Welt anders aus. Menschlicher, friedlicher, gerechter. Deshalb müssen wir die Rechte der Kinder immer wieder von Neuem einfordern. Schlimm genug, dass es kein Sanktionsrecht gegen Länder gibt, die die Kinderrechte missachten.
...und die Kinderarmut in den reichen Industrieländern?
Die ist auch deshalb ein Skandal, weil hier die Loyalität der Kinder ausgenutzt wird. Kinder sind extrem loyal. Sie verraten ihre Eltern nicht, wenn diese sie schlagen. Sie wehren sich nicht gegen einen Staat, der ihre Rechte mit Füßen tritt. Sie sind so loyal, dass sie sogar als Kindersoldaten missbraucht werden. Und so geht auch die wachsende Kinderarmut in unseren reichen Ländern unter. Dass Kinder in vernünftigen Verhältnissen aufwachsen, hat nichts mit Wohlfahrtsstaat zu tun oder mit Hilfe. Nein, es ist, verdammt noch mal, ihr gutes Recht. - Sie spüren, jetzt werde ich doch noch ein wenig zornig.
Was hat Sie 2009 politisch auf die Palme gebracht?
Das hängt genau mit dem eben Gesagten zusammen. Schauen Sie auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Und was machen die reichen Industrienationen? Sie kürzen als Erstes die Entwicklungshilfe, anstatt sie zu erhöhen. Und wen trifft die Krise am stärksten? Die Kinder in den ärmsten Ländern der Welt! Dabei ist es nicht nur eine christliche, sondern auch eine humanistische Aufgabe, denen zuallererst zu helfen, denen es am schlechtesten geht.
Bevor wir angesichts dieser Entwicklung in Depressionen verfallen, sollten wir nach vorne schauen.
Einverstanden. Es gibt schließlich auch genug Positives.
...zum Beispiel die Kolumne, die Sie jede Woche exklusiv für "Schleswig-Holstein am Sonntag" schreiben.
Ich möchte ein Lob. Bin ich nicht unheimlich treu? So treu sind viele Ehemänner nicht. (lacht)
...wie entstehen Ihre Sonntagsgedanken?
Ich bin immer noch sehr viel europaweit auf Tournee. Sonntags sind da oft Reisetage. Auf langen Fahrten geht einem viel durch den Kopf. So entstehen die Texte.
...und wenn Sie mal zu Hause sind, wie verleben Sie dann privat den Sonntag?
Da habe ich das Gefühl, dass wir den ganzen Tag frühstücken.
"Schleswig-Holstein am Sonntag" präsentiert am 28. April in Flensburg ein einmaliges Konzert mit Ihnen. Was erwartet das Publikum auf Ihrer neuen Tournee "Im Augenblick".
Es ist wie mit den Sonntagsgedanken, und deshalb ist das ein besonderer Auftritt. Wir spielen auf der Bühne so etwas wie unser eigenes Tagbuch. Lieder, Texte, Situationen können flexibel verändert werden. Jedes Konzert ist anders.
Und wie sieht es am Silvesterabend um 24 Uhr bei Ihnen in Utrecht aus. Zünden Sie eine Rakete.
Halten Sie auf! Ich halte mich so weit wie möglich fern von einem Feuerwerk. Ich mag das nicht. Es sieht ja schön aus. Aber wenn ich dann in der Zeitung lese, dass wieder jemand eine Hand oder ein Auge durch das Feuerwerk verloren hat oder ein Haus abgebrannt ist, dann frage ich: Ist es das wirklich wert? Wissen Sie was! Wir trinken lieber einen Genever mehr.