Herman van Veen
SH am Sonntag
Hilde
30 augustus 2009

Auf meinem Schreibtisch im Hotel steht in einem Fläschchen Bad Meinberger exklusiv, feinperlig, mindestens haltbar bis 31.07.2011, eine weiße Rose von einem halben Meter Höhe mit achtzehn grünen Blättern. Die weiße Blume bekam ich von einer Dame zusammen mit einem Gedichtbändchen von Hilde Domin.

,Nur eine Rose als Stütze'
Gedichte. Fischerverlag.
Sechs Eure fünfundneunzig.

„Man muss weggehen können/und doch sein wie ein Baum. /Als bliebe die Wurzel im Boden,/als zöge die Landschaft und wir/standen fest."
Auf Seite 32 schreibt Hilde: „Ich lade dich ein."

Aber sie schreibt nicht, wo sie wohnt. Ich frage im örtlichen Buchladen nach ihrer Adresse. Dort erzählt man mir, dass Hilde tot ist. Sie wäre heute ungefähr 100 Jahre alt.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr ein Briefchen zu schreiben.
„Liebe Hilde,
Adresse unbekannt."

In Antwort auf dein Gedicht
Komm bei mir wohnen, / ich baue uns ein Haus / unter dem Himmel vom Kap, / im Westwind von Flandern, / zu Füßen der Pyrenäen Es riecht nach Lavendel,/abends leuchtet der Nil, / und es flötet der Ibis.
Komm bei mir wohnen, / ich baue uns ein Haus / mit sieben Zimmern und einem Speicher, / mit einer Küche, wo meine tote Mutter kocht, / und Balkons / mit Aussicht aufs Carre-Theater, die Kalahari, / die Nordsee.

Es riecht nach Bohnerwachs, / und abends im Garten / singt Jacques Brel /von Brüssel und von Amsterdam. Komm bei mir wohnen, / ich baue uns ein Haus / mit Hüten und Jacken / an den Wänden/von Freunden/die uns in der Zeit / vorangegangen sind.

Mit Bildern von / Hieronymus Bosch / Josef Beuys, / James Ensor / und Zeichnungen von den Kindern.

Es riecht nach Kaffee mit Zimt. /Wir wischen dieTische ab / und werfen sie samtTassen und Schüsseln/wie in deinem Gedicht / durch die Fenster nach draußen. / Es gibt Bücherkisten / voll mit leeren Büchern, / die wir nachts schreiben sollen / beim Licht des Mondes.
Komm bei mir wohnen, / ich baue uns ein Haus, eine Brücke, / einen Garten / mit einem lebenden Denkmal / von Margot Fonteyn / als sie noch jung war / wie frisches Brot.

Wo wir frühstücken mit der Zeitung / und lesen, wie Kinder auf Granaten treten, / wo Brand ist / und Hungersnot / auf einem anderen Planeten.

Abends gehen wir ins Kino, / in die Oper oder insTheater / bei uns in der Straße. /Wir lauschen Bach, Schubert, Mendelsohn, / die aus diesem Anlass, / wieder leben. / Oder wir laufen zum Bois de Boulogne / um die Ecke, / wo Charlie Chaplin tanzt / mit Fred Astaire, /wo Wein aus Chile / ausgeschenkt wird.

Komm bei mir wohnen, / ich baue uns ein Haus / mit einer Dachrinne, / die so niedrig ist, / dass du nie fallen kannst.

Du kannst mich im / Detmolder Hof finden.

Alles Gute.



Herman van Veen (64) ist niederländischer Musiker, Entertainer und Unicef-Botschafter.
Seine Sonntags-Gedanken schreibt er exklusiv für Schleswig-Holstein am Sonntag.