Carsten Dilly
Der Westen
Herman van Veen: "Ich habe keine Fantasie" 25 september 2009

Essen. Der nette Herr Nachbar ist wieder zu Gast bei Freunden: Herman van Veen, niederländischer Liedermacher, stellt in den nächsten Tagen und Wochen sein neues Album „Im Augenblick” in Deutschland vor. Vorab sprachen wir mit dem Künstler über Gott und die veränderte Weltsicht eines 64-Jährigen.


Herr van Veen, Ihre Lieder singen Sie in vielen Sprachen, sind in unzähligen Ländern aufgetreten. Ist das, was Sie zu sagen haben, wirklich überall verständlich?
van Veen: Meine Metaphern und Themen sind das. Zumal: Meine Themen sind nie erfunden, aber immer erfahren – ich habe keine Fantasie.

Das ist aber ein eher unerwartetes Bekenntnis...
van Veen: Aber so ist das. Denn die Realität ist viel fantasiereicher als die Fantasie je sein könnte. Meine Familie, meine Freunde – wenn ich von diesen Leuten erzähle, kann ich auch breitere Verbindungen ziehen. Mein Opa zum Beispiel war in den Augen meiner Mutter christlich-hysterisch...

Was bedeutet das?
van Veen: Der war so religiös, dass man glaubte, er würde Gott persönlich kennen. Wenn ich über den berichte, dann ist es zum Papst nicht weit. Die Religion ist die Metapher, nicht der Opa.

Sind Sie selber denn auch ein gläubiger Mensch?
van Veen: Bitten Sie mich nicht zu erklären, wer Gott ist! Denn das weiß ich nicht. Und ich kenne auch niemanden, der Gott je begegnet ist und uns sagen kann, was nach dem Leben passiert. Aber ich habe großen Respekt vor Dingen, die ich nicht verstehe.

Sie setzen sich seit Jahren stark für Kinderrechte ein. Haben Sie selber in Ihrer Kindheit etwas vermisst?
van Veen: Naja, ich bin im Krieg geboren. Doch ich hatte das Glück, in einem Land aufzuwachsen, das sich neu aufbauen musste. Übrigens: Ich bin in dem Moment gezeugt worden, als die Alliierten in Sizilien gelandet sind. Da hat mein Papa zu meiner Mama gesagt: „Die Alliierten kommen – wir machen ein Kind!” Ich war gewünscht. Was will man mehr?

Sie sind jetzt 64 Jahre alt. Ist das Älterwerden für Sie ein Problem?
van Veen: Im Gegenteil, das Älterwerden ist der schönste Prozess, den ich in meinem Leben erfahren habe. Ich kann jetzt besser genießen. Wenn ich heute ein Glas Wein trinke, sehe ich es mir erst einmal an. Dann rieche ich daran, dann nehme ich einen kleinen Schluck, dann vielleicht noch einen. Es ist ein Passieren, ein Stattfinden. Früher hingegen war es einfach nur nass.

Sie leben also bewusster?
van Veen: Ja, und ich sehe klarer. Man erkennt mehr und mehr Verbindungen zwischen den Dingen. Oft sage ich mir: „Verdammt, hättest du das alles doch schon mit 30 Jahren kapiert!”.

Sie haben unzählige Alben veröffentlicht, sind immer produktiv. Kennen Sie auch so etwas wie eine Schreibblockade oder kreative Löcher?
van Veen: Nein, wenn ich schreibe, dann arbeite ich wie eine Kamera. Ich schreibe auf, was ich sehe. Ich muss nicht darüber nachdenken.

Sie sind Schauspieler, Autor, Musiker – gibt es eine Kunstgattung, in der Sie sich noch einmal versuchen wollen?
van Veen: Kunstschwimmen!

Neuerdings malen Sie auch...
van Veen: Aber ich bin kein Maler. Ich male abstrakt, die Wirklichkeit gibt's ja schon. Meine Bilder sind eher Herzabdrücke.

Zurück zur Musik: Ihre Lieder sind von einer gewissen Melancholie durchwirkt. Ist das ein guter Weg, schmerzliche Erfahrungen zu versüßen?
van Veen: Melancholie ist ein legitimer Verarbeitungsprozess. Man sollte er nur nicht übertreiben! Wenn ich an meine Eltern denke, frage ich mich auch: „Romantisiere ich nur, oder war die Suppe damals wirklich so lecker?”

Und? War sie so lecker?
van Veen: So gut, wie es früher war, ist es früher nie gewesen.